Einsam an der Ölquelle

March 12, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
Share Embed


Short Description

Download Einsam an der Ölquelle...

Description

40

WIRTSCHAFT

7. Dezember 2006

DIE ZEIT Nr. 50

Was bewegt …

Bernard Mommer?

er Ober bringt Whisky, Black Label, Bernard Mommer kennt sich da aus. »Das ist schon interessant«, sagt Mommer, nippt kurz, dreht das Glas in der Hand und lächelt ein dünnes Lächeln. »Früher hat einem niemand zugehört. Heute hat man Macht, und jetzt hören die Leute auf einmal zu.« All die Papiere, die er geschrieben hat, all die gehaltenen Vorlesungen – welchen Einfluss hatten die schon? Aber jetzt hat Mommer Macht. Macht über die vermutlich größten Ölreserven der Welt, Macht über oder zumindest Einfluss auf seinen Vorgesetzten, Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez. Und das für viele weitere Jahre, nachdem Chávez am vergangenen Sonntag in seinem Amt bestätigt wurde. Sohn eines SPD-Bundestagsvizepräsidenten, in Tübingen studiert und Marx gelesen und dann, 1970, nach Caracas gezogen, »aus reiner Abentoierluschd«, wie er sagt. Heute ist Mommer venezolanischer Vizeminister für Öl. Mit seiner Hilfe hat sich Hugo Chávez nach 1999 nach und nach die staatliche Ölgesellschaft PDVSA unter den Nagel gerissen. Hat daraus seine Wahlkampagnen und seine »revolutionär-bolivarianische« Außenpolitik finanziert. Der Deutsche ist der

Denker hinter allem, Chávez’ Rasputin. Er ist, sagt Thomas Wälde vom renommierten Energieinstitut an der University of Dundee, »der wichtigste Intellektuelle in der venezolanischen Regierung und die einflussreichste Kraft in der globalen Erdölpolitik«.

Den Mann der Ideen hat die Zeit zu einem Mann der Tat gemacht Ein Edelitaliener im feinen Osten von Caracas. Hinter dem Glasfenster rauscht die Oberklasse in ihren fetten Jeeps vorbei. Wer hier Mineralwasser bestellt, hat die Wahl zwischen französischem Perrier oder italienischem San Pellegrino. Mommer jedoch hält sich erst mal an den Whisky. Er sitzt da mit zerzaustem grauem Haar, offenem weißem Hemd, Karo-Sakko und schwarzer Hose – halb bequem, halb formell – und referiert über seine Sicht der Dinge. Über die neoliberale Welle, die über die Welt hinweggeschwappt sei – »erstens kommt das Kapital, zweitens das Kapital, drittens auch, und was übrig bleibt, das geht dann vielleicht an den Staat«. Über den russischen Bauern und sein Verhältnis zur Revolution, über die Sprachpolitik der Académie française, über den Rinderwahnsinn in Eng-

land: Intellektuell ist Mommer ganz schön rumgekommen in seinen 63 Lebensjahren. Am liebsten aber redet Mommer über den Grundbesitz und das Eigentum an natürlichen Ressourcen. »Sie kaufen heute ein Handbuch über Makroökonomie von irgendeinem Nobelpreisträger, und der Grundbesitz kommt gar nicht vor. Bestenfalls auf zwei Seiten, und dann wird irgendwelcher Unsinn verzapft.« Der Kapitalismus, sagt Mommer, habe die Frage nach dem Grundbesitz einfach wegdefiniert: »Man redet dauernd über ein Wirtschaftsmodell, das zwei Variablen hat, Arbeit und Kapital. Dabei hat es drei.« Schon während des Studiums in Tübingen hat sich Mommer mit diesen Fragen auseinander gesetzt, promovierte nach seinem Mathematikdiplom auch in Sozialwissenschaften, über internationale Erdölpolitik, lehrte dann in Oxford. Ende der achtziger Jahre heuerte er bei der PDVSA an, stieg ein paar Jahre später wieder aus, stieg wieder ein, als Hugo Chávez Präsident wurde. Jetzt mischt er mit. Den Theoretiker hat es in die Praxis verschlagen. Den Mann der Ideen haben die Zeitläufte zu einem Mann der Tat gemacht. Wer Mommers Rolle verstehen will, muss die Geschichte des Öls in Venezuela kennen. Shell und Stan-

dard Oil sind die ersten Firmen, die hier Anfang des 20. Jahrhunderts kommerziell nach Öl bohren. Schon 1928 ist Venezuela zweitgrößter Erdölproduzent der Welt; das Land wird von einer Agrargesellschaft mit ein bisschen Kaffeeexport in wenigen Jahren zur wohlhabendsten Nation Amerikas. 1975 dann übernimmt die Regierung die Kontrolle über das Öl: Sie gründet die Staatsfirma Petróleos de Venezuela S. A., die PDVSA, gesprochen: Peh-dehveh-sa. Trotz der Nationalisierung vergibt das Unternehmen Förderkonzessionen an ausländische Konzerne, schickt sein Personal auf die besten Hochschulen in aller Welt, arbeitet mit modernster Technik, kurzum: Die PDVSA ist ein »Staatsbetrieb light« und gilt als einer der effizientesten staatlichen Ölkonzerne der Welt. Sagen die einen. »Alles Kokolores«, sagt Mommer. Gut ausgebildete Ingenieure? High Tech? Internationales Prestige? Mag schon sein. »Aber den Russen wäre es 1942 auch nicht eingefallen, die Soldaten der Wehrmacht für ihre gute Ausbildung und ihr hervorragendes Material zu loben. Die kämpften halt leider für die falsche Sache.« Und so wie die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, ätzt Mommer, so setzte sich auch die PDVSA in all den Jahren vor Chávez für die falsche Seite ein. »Das war eine subversive Bewegung, das Land war ihnen total egal.« Aus Mommers dünnlippigen Mund kommen die Sätze oft tonlos, Wissenschaftlersprache. Lange Gedankengänge, erstens, zweitens, drittens. Aber wenn er über die frühere PDVSA spricht, »diese kleine Eliteclique«, dann wird er knapp, kurz, sauer. »Die dachten, sie könnten das Land regieren. Völlig hirnrissig.« Im Hintergrund klimpert Klaviermusik, es klirren Gabeln, Messer, Gläser. Halb elf ist es jetzt, zweieinhalb Stunden Gespräch sind vergangen. »Sollen wir nicht nach der Karte fragen? Also ich könnte jetzt was essen«, sagt Mommer. Über dem Lachssalat erzählt er dann, wie er die PDVSA an die Kandare genommen und die alten Kader rausgeschmissen hat. Wie er mit 30 ausländischen Firmen neue Verträge aushandelte: mindestens 50 Prozent Einkommensteuer und 51 Prozent Staatsmehrheit an allen Joint Ventures. Da ist eine Menge Wut im Spiel, viel persönliche Animosität, fast Hass. Das merkt, wer mit Luis Giusti über Mommer redet. Giusti war von 1994 bis 1999 Chef der PDVSA. Heute sitzt er in einem Institut in Washington, D. C., und sagt nur Schlechtes über das, was Mommer aus der Firma gemacht hat. »Der hat keine Ahnung vom Öl, es geht ihm doch nur um diese ganzen pseudorevolutionären Theorien«, sagt er. Der Konzern investiere so gut wie nichts mehr, stecke Milliarden – jährlich mindestens zehn Prozent der Einnahmen – in Alphabetisierungs- und sonstige Sozialprojekte der Regierung, produziere nur noch die Hälfte. Und sitze dabei auf den größten Ölreserven der Welt. »Die Leute, die die gefeuert haben, das verlorene Wissen – mir tut die Firma leid«, sagt Giusti. Das Venezuela von Chávez und Mommer ist keine Diktatur, die Meinung der alten Öl-Eliten gibt es an jedem Zeitungskiosk schwarz auf weiß. Mommer stochert zielstrebig in seinem Salat herum, wenn man ihn über diese Kritik befragt. Wenn die Staatsfirma unter seiner Amtszeit ein wenig an Effizienz verloren habe, dann sei ihm das reichlich egal, sagt er. »Für mich ist PDVSA einfach ein Instru-

ment, um den natürlichen Reichtum des Landes zu maximisieren.« »Maximisieren« sagt Mommer. Ein Wort, das so nicht im Wörterbuch steht, zumindest nicht im deutschen. Er sagt gern »bueno«, wenn er zu einem Gedanken anhebt, oder »mire«, »schauen Sie«: Die Jahre in Venezuela haben ihn etwas fremd werden lassen in seiner Muttersprache. Aber auch fremd in seinem Vaterland. »Wer war noch mal der mit der Wiedervereinigung: Kohler? Köhler? Ach ja, genau, Helmut Kohl.« Mit Deutschland, sagt Mommer, habe er nicht mehr viel zu tun. Deutsche Literatur? »Belanglos.« Die deutsche Universität? »Die fand ich immer sehr beschränkt.« Es klingt ein bisschen giftig, ein bisschen verbittert, wie Mommer über seine Heimat redet. Schließlich haben ihm die deutschen Behörden auch den Pass abverlangt, als er venezolanischer Staatsbürger wurde. Eigentlich eine Unverschämtheit, das, völlig ungesetzlich, er habe mit Anwälten drüber gesprochen. »Aber dann klage ich, und bis ich gewinne, bin ich 98 – also was soll’s.«

»Wer 19 000 Leute feuert, muss schon ein bisschen vorsichtig sein« Es ist nicht leicht, vom Vizeminister Mommer etwas über den Menschen Mommer zu erfahren. Man fragt nach Privatem, er antwortet mit Zahlen. Man fragt nach Personen, er redet von Strukturen. Die meisten seiner Freunde habe er in akademischen Kreisen gehabt. Aber das war früher, bevor er begann, für »Präsident Chávez« zu arbeiten. »Neulich war ich auf einer Buchvorstellung, ich kannte alle. Aber kaum jemand wollte mich grüßen. Das affektiert einen dann schon.« Wieder so ein Fremdwort, so ein erfundenes, das nicht im Duden steht. Aber man erahnt: Da ist einer ganz schön einsam. Man versucht sich vorzustellen, wie Kabinettssitzungen ablaufen. Wie Mommer, der nüchterne, bleiche Politintellektuelle, wohl klarkommen mag mit seinem hitzköpfigen Präsidenten. Mit diesem Dampfplauderer, der George W. Bush einen »Teufel« nennt. Mommers Antwort: »Mit der mobilisierenden Politik von Chávez sympathisiere ich sehr. Aber ich bin in dieser Hinsicht natürlich kein Akteur.« Dass Chávez wiedergewählt wurde, hat Mommer vorausgesagt. Die Armut sei unter seiner Regierung gesunken, und all das Gerede von der wachsenden Kriminalität – die Opposition spricht von jährlich mehr als 10 000 Morden, weit mehr als im Drogenland Kolumbien – sei doch auch nur rechte Propaganda. Der Kellner bringt die Rechnung, vor dem Lokal wartet Mommers Dienstwagen. Man fragt den Vizeminister der bolivarianischen Republik Venezuela nach seinem Gehalt. Er windet sich, er ist ja schließlich ein Linker, aber es fällt dann doch das Wort »miserabel«. Verhungern werde er allerdings auch nicht, das sei klar. Mommer sitzt hinten rechts, am Steuer der Fahrer, daneben sein Leibwächter. Er wohne im Hotel, sagt er, wegen der Sicherheit. Ganz billig sei das nicht. »Aber wer 19 000 Leute feuert, muss schon ein bisschen vorsichtig sein«, sagt Bernard Mommer. Er versucht ein Lächeln.

" Der Rasputin des Präsidenten Bernard Mommer wird 1943 geboren. Er studiert Mathematik und promoviert 1976 als Soziologe über die internationale Ölfrage. Nach Lehrtätigkeiten an verschiedenen Universitäten heuert er 1989 bei der PDVSA an, von 1995 bis 1999 forscht er an der Oxford University. Nach 1999 wird Mommer als Berater des Ölministers die einflussreichste Figur in der venezolanischen Ölpolitik. 2005 wird er Mitglied des Aufsichtsrats der PDVSA und stellvertretender Minister im Energieund Erdölministerium

Foto: Steve Starr/corbis

Einsam an der Ölquelle D

Foto: Ramon Lepage für DIE ZEIT

Hugo Chávez bleibt Präsident in Venezuela – und Bernard Mommer einer der mächtigsten Männer im Land. Als Vize-Minister bestimmt der Sohn eines SPD-Politikers weiter die Energiepolitik VON CHRISTIAN THIELE

View more...

Comments

Copyright © 2020 DOCSPIKE Inc.