„Gottfried“: Geheimnis ist gelüftet

March 14, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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GESCHICHTE LOKALES

FREITAG, 16. Freitag, 16.OOktober KTOBER 2009 2009 · NEZ

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„Gottfried“: Geheimnis ist gelüftet Vor 187 Jahren sank ein Frachtensegler in einem Orkan in der Elbmündung. Mit dem Schiff sank wertvolle Fracht. Seit Jahrzehnten wird fieberhaft nach der „Gottfried“ gesucht. Bis heute ist das Wrack unentdeckt geblieben. Doch jetzt scheint das Rätsel um das „Mumienschiff“ kurz vor seiner Lösung zu stehen. VON ULRICH ROHDE

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ie Huker Galeasse „Gottfried“ sank in einem der schwersten Orkane seit Menschengedenken in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1822 in der Elbmündung. Sieben Menschen fanden dabei den nassen Tod. Der dänische Segler hatte am 10. Dezember 1821 von Triest mit Ladung aus Ägypten Kurs auf Hamburg genommen. An Bord stapelten sich wertvolle altägyptische Antiquitäten, bestimmt für die Königlich Preußischen Sammlungen in Berlin. Im Auftrag des Königs hatte der Freiherr Heinrich Menu von Minutoli Nordostafrika neun Monate lang bereist. Ein kleiner Teil der Erwerbungen erreichte auf dem Landweg Berlin. Er bildete dort den Grundstock des heutigen Ägyptischen Museums. Aber wo ist der Großteil der kostbaren Ladung geblieben? Seit 187 Jahren schlummern unentdeckt, metertief im Elbschlick eingebacken, querab vor Cuxhaven im Wrack des Seglers „Gottfried“ ägyptische Altertümer. Davon sind Rainer Leive und Joachim S. Karig, inzwischen pensionierter stellvertretender Direktor des Ägyptischen Museums Berlin, überzeugt. Nach Jahrzehnten gemeinsamer Forschung und stiller Kooperation mit weiteren Autoritäten der Wissenschaft glauben sie jetzt genug Hinweise und Fakten gesammelt zu haben, um mit Hilfe der überlieferten Aussagen der Überlebenden des Schiffsunglücks sowie alter Karten und Berechnungen über die Strömungsverhältnisse die genaue Position des Wracks bestimmen zu können.

Die Elbmündung ist einer der größten aber auch geheimnisvollsten Schiffsfriedhöfe der Welt. Umso erstaunlicher erscheint es, dass gerade dieses „Schatzschiff“ aufgrund der von Leive und Karig bestimmten Koordinaten bald gehoben werden könnte. „In den vergangenen Jahren haben wir das Netz dichter gezogen und unsere Erkenntnisse mit den modernen Mitteln der Wissenschaft abgeklopft“, sagt Leive. Jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, an dem der Elbsand das Schiff und seine sagenumwobene Ladung frei geben könnte.

Diese Abbildung zeigt eine Huker Galeasse wie die „Gottfried“. Der Segler aus Eichenholz wurde 1815 in Greifswald auf Kiel gelegt. 1818 übernahm sie Heinrich Jakob Riesbeck und ließ sich mit der „Gottfried“ in Kopenhagen nieder. Der Kapitän ging mit seinem Schiff in der Elbmündung unter. Von den kostbaren, zum Teil Jahrtausende alten Exponaten müsste noch einiges im Elbschlick stecken: Die entdeckte Ladungsliste beschreibt einen tonnenschweren Granit-Sarkophag, hundert Stelen, ebensoviele Vasen aus Alabaster, pharao-ägyptische Säulen, Altäre, Schrifttafeln, Statuen und steinerne Krüge für die Eingeweide der einbalsamierten Mumien (Kanopen) – 97 Kisten voller altägyptischer Preziosen waren an Bord. Bei dem Sarkophag soll es sich um ein Stück aus der Totenstadt Sakkara handeln, womöglich rund 4300 Jahre alt. Eine zeitliche und dynastische Zuordnung ist nur möglich, wenn die „Gottfried“ geborgen würde, denn erst 1824 entzifferte der Franzose Champollion die ersten Hieroglyphen.

MUMIEN VERGRABEN

Abbildung aus dem großformatigen Tafelband, den Minutoli über die Expedition und die gewonnenen Erkenntnisse anfertigen ließ.

Kurz nach der Katastrophe waren zwischen Cuxhaven, Otterndorf und Balje Mumien und andere Ladungsteile angeschwemmt worden. Zu den Fundstücken zählten unter anderem ein arabisches Prunkzelt und arabische Handschriften. Sieben rund 1900 Jahre alte Mumien in Pfostensär-

gen waren von Einheimischen bei Balje entdeckt worden. Aus Angst vor der Pest wurden sie zunächst vergraben. Das Freiburger Gräfengericht verfügte ihre Ausgrabung und Verwahrung in der Nähe des heutigen Natureum bis zur Klärung der Besitzverhältnisse. Am 4. September 1822 wurden die Mumien und das Zelt in Hamburg versteigert. Sie sind seither verschwunden. Welche Schätze womöglich noch heute in manchem alten Haus in Hadeln und Nordkehdingen schlummern, darüber kann man nur spekulieren. 2003 fand die Ägyptologin Renate Germer im Archiv des Hamburger Museums für Kunst und Gewerbe zufällig einen Umschlag mit Mumienbinde, MumienHaarlocke sowie dem in Sütterlin geschriebenen Fundhinweis: „Haarlocke u. Stück der Binde einer weiblichen Mumie, welche der Gl. Menu von Minutoli aus Ägypten gebracht, bey Neuhaus an Land getrieben aus dem dort gestrandeten Schiffe – in Freyburg mitgenommen d. 5t. April 1822.“ Für Karig und Leive, die Jäger des verlorenen Schatzes, der endgültige Beweis: „Die ,Gottfried‘ ist vor Neuhaus gekentert.“

Diese Karte der Helgoländer Bucht aus dem Jahr 1862 beschreibt die Fahrwasserverhältnisse zur damaligen Zeit recht genau.

„Das Wrack gehört ins Natureum“ Rainer Leive hat ein zwei Jahrzehnte dauerndes wissenschaftliches Abenteuer überstanden

Das Neue Museum, im 19. Jahrhundert errichtet nach Plänen Friedrich August Stülers, wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Unter der Leitung des britischen Star-Architekten David Chipperfield wurde es aufwändig restauriert. Das Ägyptische Museum und das Museum für Vor- und Frühgeschichte finden hier ihre neue Heimat.

Neues Museum wird wiedereröffnet Die ägyptische Sammlung kehrt zurück BERLIN. Am morgigen Sonnabend öffnet das Neue Museum auf der Museumsinsel wieder seine Pforten. Damit findet auch die ägyptische Sammlung wieder ihren historisch angestammten Platz. Die Geschichte der ersten altägyptischen Gegenstände in Preußen ist historisch eng mit dem Schiffsunglück der „Gottfried“ verbunden. Auf Geheiß des preußischen Königs sollte der Generalleutnant Heinrich Menu von Minutoli mit seiner wissenschaftlichen Ägypten-Expedition zwischen 1820 und 1821 die Basis für diese

Sammlung schaffen. Nur ein kleiner Teil der Schätze erreichte auf dem Landweg von Triest nach Berlin wohlbehalten das Ziel. Der Großteil der antiken Kunstgegenstände ging mit der „Gottfried“ 1822 in der Elbmündung unter. Vor diesem historischen Hintergrund der abenteuerlichen Ursprünge der ägyptischen Sammlung ist das herausragende Interesse des Museums seit den frühen siebziger Jahren an der Aufklärung der Umstände und des Verbleibs des Wracks leicht nachvollziehbar. (ur)

BASDAHL. Nach 20 Jahren Recherche, nach einer aufreibenden Suche, die ihn quer durch Europas Archive geführt hat und nach Abgleich aller zur Verfügung stehenden historischen Daten der Hydrologie ist Rainer Leive aus Basdahl fest davon überzeugt, nun am Ziel angekommen zu sein. Der Schleier des Geheimnisses um den Untergang der „Gottfried“ ist gelüftet. Allerdings war Leive dabei nicht allein. „Es war eine Gemeinschaftsarbeit“, stellt der freie Mitarbeiter des Ägyptischen Museums in Berlin und ehrenamtliche Vorstand des Natureum Niederelbe fest. Die fachübergreifende Forschung bezog die historischen und archäologischen Wissenschaften ebenso ein wie die historische Sturmflutforschung mit umfangreichen hydrografischen Vermessungen, die das Fachgebiet Leives sind. So kam das Ziel,

die spektakuläre Hebung des auf einer der Sandbänke in der Elbmündung gestrandeten Schiffes mitsamt der altägyptischen Antiken möglich zu machen, immer näher. „Die Aufgabe hat sich als weitaus größer herausgestellt als zu dem Zeitpunkt, an dem ich erstmals damit in Berührung kam“, sagt Leive. Schon in einem Aufsatz zum Forschungsstand der wissenschaftlichen Suche nach der „Gottfried“ aus dem Jahr 1993 sahen Leive und Joachim S. Karig es als am wahrscheinlichsten an, dass die unter Schwemmsand verborgenen Überreste in einem Gebiet zu finden sein müssten, das seit Ende des 18. Jahrhunderts als „Norder Gründe“ bezeichnet wurde. Es handelt sich dabei um die zwischen der Süder- und der Norde-Elbe gelegenen Sände. Die exakten Koordinaten der Fundstelle behält Rainer Leive natür-

Rainer Leive in seinem Büro in seinem Haus in Basdahl. Hier forschte er nach dem Wrack der „Gottfried“, wenn er nicht gerade die Archive in ganz Europa nach Hinweisen durchstöberte. Foto: Rohde

Dieses arabische Prunkzelt, das von Minutoli vom ägyptischen Vicekönig Mohamed Ali als Geschenk erhielt, wurde ebenso wie sieben Mumien nach dem Untergang der „Gottfried“ als Strandgut am Elbufer geborgen. Das Gemälde von Louis Faure aus dem Jahr 1823 (Besitz des Ägyptischen Museums) zeigt den Aufenthalt Minutolis in der Oase Siwah. lich für sich, um keine ungezügelte Schatzjagd auszulösen. Für Leive definiert sich der Begriff „Schatz“ ohnehin anders und hat mit dem materiellen Wert der Altertümer rein gar nichts zu tun. Für ihn geht es um ein wissenDas Rätsel schaftshistoriist gelöst. sches Abenteu- REINER LEIVE er, das ihn und die anderen Beteiligten zwei Jahrzehnte lang in Atem gehalten hat und nun beendet ist. „Entscheidend war, dass jeder bis heute dichtgehalten hat“, freut sich Leive. Bewusst wurde auf die bevorstehende Wiedereröffnung des Neuen Museums in Berlin als Heimstatt der ägyptischen Sammlung hingearbeitet. Leive: „Das

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Rätsel ist gelöst. Der Zeitpunkt für eine Bergungskampagne ist da. Was nun folgt, ist nicht mehr meine Sache, sondern eine politische Entscheidung.“ Das Wrack und die Schätze der „Gottfried“ fallen unter das Gesetz der Bodendenkmalpflege. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist Lizenzträger einer kostspieligen Bergung. Der Fund würde zur Hälfte der Stiftung und zur anderen Hälfte der Bundesrepublik Deutschland zufallen. Für Rainer Leive aber ist klar: „Das Wrack gehört eigentlich ins Natureum.“ Und der Schatz? Einen Teil würde er natürlich gern an seinem Bestimmungsort in Berlin sehen, im Grunde gehöre er aber dorthin, wo er einst herkam: nach Ägypten. (ur)

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