Paul Mommertz S I C H T W E C H S E L Aphorismen über

February 22, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Paul Mommertz

SICHTWECHSEL

Aphorismen über Menschen und Meinungen

Copyright 2005 Paul Mommertz, München Titel geschützt nach § 16 UWG Alle Rechte vorbehalten Einzelzitierung erlaubt bei Namensnennung des Autors Paul Mommertz

ZUVOR 'Wir verbringen unsere Tage wie ein Geschwätz.' So befand schon Blaise Pascal. Dabei konnte er nicht ahnen, zu welchen Orgien an Geschwätz es in einer Mediengesellschaft kommen würde. Ich fühle mich vom allgegenwärtigen Gerede geradezu bedroht wie von einer Springflut, der man nicht zu entkommen weiß; so habe ich, was mir wichtig erschien, sozusagen als Rettungsring jeweils auf eine runde, tragfähige, rettende Formel zu bringen versucht. Dabei stellte sich heraus, daß meine unmaßgebliche Meinung meist eine andere, oft eine gegenteilige war als die übliche, gerade so wie die Meinung üblicher Zwischenrufer selten die erwartete, oft aber die interessantere ist. Kein Gedanke ist ganz neu; sollte mir jedoch die eine oder andere fremde Formulierung unterlaufen sein, bitte ich um Entschuldigung! PM

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THEMEN 4 33 46 54 59 79 93 98 108 119 124 132 142 148 158 167 176 191 199 204

Alle und keiner Männer und Frauen Junge und Alte Lebende und Tote Kluge und Dumme Gute und Böse Schuldige und Unschuldige Arme und Reiche Ökonomen und Ökologen Konservative und Progressive Nationale und Globale Nazis und Neonazis Militaristen und Pazifisten Deutsche und Juden Bürger und Politiker Politiker und Bürger Kultivierte und Zivilisierte Künstler und Banausen Banale und Blasierte Ich und ich

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ALLE UND KEINER

Je ernster man sich nimmt, desto weniger hat man zu lachen. Wer sich übersieht, sieht am besten. Die meisten Menschen, mit denen wir umgehen, umgehen wir bloß. Wer sich nicht streckt, schrumpft. Kein starker Mann muss den starken Mann spielen. Wer nicht erwachsen wird, wird kindisch. Auf alten Gleisen kommt man an kein neues Ziel. Die Pferde, die mit uns durchgehen, sind bloss Esel. Wer sich zurückhält, kommt nicht voran. Wer allein sein kann, ist nie einsam. Witzbold lacht, Humorist lächelt. Weniger ist mehr. 4

Konfliktscheu im Kleinen? Konflikte im Grossen! Keiner gibt mehr, als wer vergibt. Einzelgänger einsam nur in Gesellschaft. Einlenken? Lieber übersteuern wir. Anteilnahme oft nur verkappte Indiskretion. Wir behandeln Menschen gern wie Bücher, die wir nicht lesen, aber furchtbar finden. Lächeln - Lachen mit Humor. Viele Sorgen wären wir los mit denen, die sie haben. Niemand mehr getreten als der Leisetreter. Wer Humor hat, kann sogar Spass ertragen. Wer das Negative regelmässig ausblendet, wird positiv krank. Wer verletzt lacht, lacht am besten. Wer verzichten kann, hat alles, was er will. 5

Wer sich widersprechen kann, fürchtet keinen Widerspruch. Die meiste Freizeit hat, wer eine Arbeit hat, die Spass macht. Lieber Ungebildete als Eingebildete. Falsches Lob verletzt mehr als falscher Tadel. Niemand lästiger als der Bruder Lustig. Niemand kann mehr fordern, als ihm geben will, wer liebt. Am hemmunglosesten geniessen die Ungeniessbaren. Nie sind uns Menschen unsympathischer, als wenn wir unsere schlechte Meinung über sie revidiern müssen. Der Schwache braucht starke Stützen: eiserne Prinzipien. Kranke machen Gesunde menschlicher. Wer geradeaus geht, gilt als Querulant. Die kleinste Eitelkeitssteuer würde das grösste Etatloch stopfen. Als Lebenskünstler gilt heute, wer auskommt ohne Lebenskunst. 6

Höflichkeit. Kleine Münze mit grosser Kaufkraft. Wir sind niemals neugierig, wir interessierieren uns bloss. Am meisten Eindruck macht uns der Eindruck, den wir machen. Nichts gegen Klatsch und Tratsch. Man redet doch wenigstens miteinander. Niemand fanatischer als der Fanatiker der Gelassenheit. Der eine behält die Ruhe, weil nichts ihn aufregt, der andere trotzdem - den brauchen wir. Fassadenrenovierungen kosten oft mehr als ein ganzer Neubau. 'Alles hat zwei Seiten!' Der entscheidet sich für keine. Lieber nicht prominent, lieber meine Skandale anonym geniessen! Mancher wirkt unsicher, weil er seine Überlegenheit versteckt. Für manche kommt alles zu spät, sie gewinnen das Grosse Los auf dem Sterbebett. 7

Der Harte ist nicht stark, der Starke ist nicht hart. Die sich am wenigsten einbringen, nehmen sich am meisten heraus. Nichts entwaffnender als Entgegenkommen. Immerzu heiter - ein nicht ganz Gescheiter. Wer permanent an seine Gesundheit denkt, wird geisteskrank. Es gehört mehr Mut zum Mut vor dem Freund als Mut zum Mut vor dem Feind. Immer mehr Freizeit und immer weniger freie Zeit. Missfällt das Gesicht, missfällt das Gesagte. Manche fühlen sich blendend unterhalten, wenn man ihnen nur zuhört. Wer nie mitgelitten hat, leidet doppelt, sobald er selbst leidet. Nicht nur der Sturm, auch der Holzwurm bringt den Dachstuhl zu Fall. Hast du alles, wird nichts aus dir. Ich bin keinem was schuldig! So kann man sich täuschen. 8

Komplexe haben wir nicht, Komplexe haben uns. Nichts bringt mehr als Verzicht. Selten so gelacht! So unter Niveau. Verständnisvoller als Glückspilze sind Pechvögel. Prinzipiell zufrieden ist nur der Idiot. Tief Verwurzelte - selten auf der Höhe der Zeit. Identitätsprobleme - nicht für das Chamäleon. Das Tiefste, was uns interessiert, ist gewöhnlich die Oberfläche. Überall ist Lüge, ausser im Schmerz. Den grössten Mut haben die Demütigen. Auf irgendjemand kann man sich immer verlassen, zum Beispiel auf seine Feinde. Die meisten Energien richten wir auf Ziele, die es am wenigsten wert sind. Man kann nicht alles haben! Muss sich aber auch nicht mit allem abfinden. Achtung, es zieht: der Windmacher kommt! 9

Harter Knochen - weiche Birne. Nur die Null muss immer Einsen sammeln. Machtgier abstossendste Sehnsucht nach Liebe. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft, grosse nicht mal die Liebschaft. Nächstenliebe? Kein Problem! Jeder sich selbst der Nächste. Lieber Allüren von innen als Manieren von aussen. Hilfe hilft vielleicht nicht, verschafft aber das angenehme Gefühl, als Mitmensch okay zu sein. Schlimmer als grosse Sorgen: die tausend kleinen Besorgungen, die uns hindern, zu uns selbst zu kommen. Wer sich nicht voranbringen will, verdient sich nicht. Glück ist dem Sensiblen so peinlich wie unverdientes Lob. Ich bin sensibel, du bist wehleidig. Wer nie sprachlos ist, hat sowieso nichts zu sagen. 10

Die sich zufriedengeben, geben sich meist nur so. Besser Tagesschau als Nabelschau. Wer nichts an sich rankommen lässt, geht auch auf niemanden zu. Höflichkeitsfloskeln: gebügelte Worte. Am wenigsten gewachsen ist der Mensch sich selbst. Die ohne meine Hilfe bleiben, untergraben meine Selbstzufriedenheit. Pechvogel immer auch ein bisschen stolz auf sein Malheur. Müller widerspricht mir. Herr Professor Dr. Dr. Müller gibt mir recht. Hast du Phantasie, langweilst du dich nie. Etwas Neurose gehört zum Menschsein wie der Schimmel zum Käse. Schönstes Hobby: Sinnvolle Arbeit. Wer beschönigt, bescheisst sich selbst. Schlagfertigkeit erschlägt. Erschlagene sind nicht dankbar. 11

Dem Kleinen ist alles klein. Man darf nicht jeden einfach anstrahlen, vielleicht braucht er gerade Schatten. Don Quichotte, der alles idealisiert, lebt glücklicher, als Sancho Pansa, der alles trivialisiert. Das beste Geschenk ist der Schenkende. Charakter ist hauptsächlich das, was uns hindert, ein besserer Mensch zu werden. Alles in allem könnte man sagen: Das Leben ist ein paar Nummern zu gross für uns. Worauf alle scharf sind schlechte Menschen kriegen es zuerst, was zeigt, was es wert ist. Der Vordermann fährt immer miserabel. Frag deinen Hintermann. Je mehr Probleme man hat, desto intensiver lebt man aber auch. Probleme sind die Schnitzmesser, die aus dem Holzblock die Skulptur machen: das Individuum. Was wir für das Beste ansehen, ist eher mal das Bequemste. 12

Als er Gott verlor, lachte er, als er Geld verlor, weinte er. Wer mal einen Nagel krummhaut, ist deshalb noch kein schlechter Handwerker. Man würde sich ja vielleicht entschuldigen, wäre man nicht zu eitel dafür. Der Müller! Sagt Müller, wenn er von sich spricht. Seltsame Bekannte hat der. Was man nicht zu viel hat, kann man auch nicht verschwenden. Goldener Mittelweg - meist auch nur Talmigold. Mitmenschlichkeit? Bei Katastrophe sofort! Wenn sie nicht zu lange dauert. Zu unserem Glück haben wir immer noch weniger Unglück als andere. Angeber - kommt uns bekannt vor: im Zoo trommelt er sich auf die Brust. Wir arbeiten, um Geld zu verdienen, und mehr noch, um Achtung zu verdienen. Was nutzt schon die ganze Freiheit in der Zwangsjacke des Ego? 13

Ich bin nichts Besonderes! Aussergewöhnliche Persönlichkeit. Mündig ist nicht, wer zu allem und jedem den Mund aufmacht. Freundschaft ist, wenn man sich um so mehr zu sagen hat, je länger man miteinander redet. Besonders mutig, wer seine Angst zugibt. Negatives verarbeiten, statt verdrängen gut für die seelische Muskulatur. Man kann nicht ein Kind unter mehreren sein und sich für den Nabel der Welt halten. Man darf fast alle Fehler machen. Wenn man sie nur einmal macht. Wer nicht souverän sein kann, wird leicht diktatorisch. Mancher hat absolut nichts zu sagen und lässt uns das pausenlos hören. Manche müssen immer die ersten sein, egal, wohin es geht. Werden wie die Kinder! So ehrlich, so offen, so stark. 14

Erfolg: Verdienst. Misserfolg: Schicksal. Wir holen uns Rat am liebsten bei denen, die uns nach dem Mund reden. Der Witzbold verdrängt, der Humorist verarbeitet. Bedeutende Menschen sind wir doch alle in unseren eigenen Augen. Wir wechseln zu viel Geld und zu wenig Worte. Die Gelegenheit, auf die wir warten, ist meist schon da. Wer nie was riskiert, kann nie scheitern. Und nie gewinnen. Menschen lieben, heisst sie sehen, wie Gott sie sieht. Meine treue Freundschaft, deine üble Kumpanei. Willst du dir jemand zum Todfeind machen, sag ihm, er habe keinen Humor. Man selbst: Orchidee unter lauter Plastikblüten! Nur Kinder haben das Glück, permanent überschätzt zu werden. 15

Gütige Menschen leiderfahrene Menschen. Feinde sind ehrlicher als Freunde. Insofern eigentlich wichtiger. Sobald sie sich nicht mehr abarbeiten muss, neigt Humanität zu Muskelschwund. Nichts setzt mehr Positives in uns frei als die Verarbeitung des Negativen. Wer zuviel erwartet, darf sich nicht wundern, wenn er zuwenig bekommt. Mancher fühlt sich als Pechvogel, weil ihm mal ein Blumentopf auf den Kopf fiel. Anderen fällt täglich ein Topf auf den Kopf. Manche Liebe ist bloss ein Missverständnis. Ach, gäbe es nur mehr davon. Der notorische Optimist hat vielleicht bloss Angst vor der Wahrheit. Damit man endlich vernünftig wird, muss oft erst Idiotisches passieren. Sucht ist eine Sehnsucht, die sich nicht mehr sehnen kann. Ohne Schmerz wüssten wir nichts vom Glück. 16

Geld ist so beliebt, weil man sich alles kaufen kann und für nichts danken muss. Härte - Panzer des Schwächlings. Was uns an anderen missfällt, ist ihnen oft bloss unterstellt. Auch wer sich immer um sich selbst dreht, dreht sich um die Sonne. Man muss nicht alles tun, was man kann, aber sollte alles können, was man tut. Mitreden kann man nur über das, was man kennt. Man muss aber nicht alles kennen, worüber geredet wird. Menschenkenntnis? Mancher hat jeden sofort in der Schublade. Man hört förmlich, wie sie zuknallt. Wir sind alle Aristokraten und sehen gern auf andere runter. Mancher kann zu allem etwas sagen, aber sonst kann er nichts. Nur Langweiler brauchen Zeitvertreib. Ärmer als die Armen vielleicht die Hässlichen. 17

Wer seine Tragödien akzeptiert, abonniert herrliche Komödien. Pfützen füllen sich von aussen, Brunnen von innen. Wer sich viel gefallen lässt, gefällt wenigen. Immer merkt man dem Bayern an, wie gut ihm die Alpen gelungen sind. Manchmal, muss der Bayer zugeben, ist das Wetter nicht nur in Bayern schön, sondern auch in Deutschland. Was mit dem grantigen Bayern versöhnt, ist die charmante Bayerin. Das Norddeutsche klingt deutsch, das Süddeutsche klingt menschlich. Ironie ist die bequemste Masche, sich aus allem rauszuhalten. Wer weint nur beim Zwiebelschneiden, schafft viele Tränen. Wer den Schmerz annimmt, nimmt ihm die Kraft. Die besten Freunde sind oft die, die man am wenigsten sieht. 18

Wer für nichts brauchbar ist, ist zu allem fähig. Die immer mehr haben wollen, sind dieselben, die auf immer weniger verzichten können. Lieber Vereinsamung als Vereinsmeierei. Hilft man dem Unglücklichen, erkennt man, wie man schon immer sein wollte. Normalmensch ist, wer Tiere zu schlachten furchtbar findet und sie zu essen köstlich. Auch wer meint, er schafft alles allein, ist dennoch nicht allein auf die Welt gekommen und kommt auch allein nicht hinaus. Am leidenschaftlichsten streiten wir, wenn Streit sich gar nicht lohnt. Leben - schlechter Autor: Zufälle, wie ein Romancier sie sich niemals erlauben dürfte. Leute, die immer ironisch sind, sind genau so problematisch, wie Leute, die nie ironisch sind. Jeden kann das Unglück treffen. Mit 6 Richtigen bist du dabei. 19

Wir brauchen Menschen, die uns brauchen. Jeder sieht gern mal über den Tellerrand in die eigene Suppe. Dem Herzen sagt eine Rose mehr, als dem Kopf der ganze Blumenladen. Lieber tausend Lügen, die mir nutzen, als eine Wahrheit, die mir schadet. Redeten wir nur, wenn wir was zu sagen haben, wäre es ziemlich still. Zwerg bleibt Zwerg - auch auf Berg. Woher soll Zeit haben, wer sie sich nicht nimmt? Die immer auf dem Teppich bleiben, hoffen trotzdem, dass er abhebt. Apathiker. Auch nicht harmloser als der Fanatiker. Schmeisst du die Sorgen vorn aus dem Haus, stürmen sie hinten wieder rein. 'Man darf sich auch mal Gefühle leisten!' Und solche werden geheiratet. Kommt der idealistische Hase, ist der zynische Igel schon da. 20

Mach dir keine Sorgen! Die kommen ganz von allein. Mangel an Phantasie? Anfällig für Krieg und Pornographie. Glück im Unglück: Es ist nun weniger peinlich, den Leidenden in die Augen zu sehen. Willst du dir einen grossen Gefallen tun? Tu anderen einen grossen Gefallen. Manchmal helfen nicht knallharte Wahrheiten, sondern barmherzige Lügen. Körper und Seele sind so eng beieinander, dass man nur ein freundliches Gesicht aufsetzen muss, und schon kommt man in freundliche Stimmung. Wer immer auf seinem Standpunkt beharrt, kommt nicht voran. Wie unangenehm muss man sein, wenn man nicht mit sich allein sein kann. Es gibt Schicksalsschläge wie Stürme, die alles Welke und Tote vom Baum fegen und Platz schaffen zu neuem Anfang. Wer nichts bringt, darf sich später nicht wundern, wenn es nichts brachte. 21

Entdeckst du öfter Negatives, giltst du als negativ. Besser zu Fuss ans Ziel, als von Auto geträumt und stehengeblieben. Wer noch weiss, was es gekostet hat, besitzt es nicht. Jeder hat seinen Luftballon und glaubt, er platzt nie. Wer immer an seine Finger denkt, trifft selten den Nagel auf dem Kopf. Die Mutter der Frustration heisst Erfüllung. Gute Figur machen besser als haben - man hat länger. Je unverdienter das Glück, desto unverschämter der Stolz. Ein guter Freund ist immer da, wenn er dich braucht. Die immer die Kirche im Dorf lassen, hören selten was läuten. Anhaltend gute Laune kann Zeichen sein von Weisheit wie Dummheit. Humorlos, ständig Witze zu erzählen. Wie geht's? Danke, man wird gelebt. 22

Der gerade Weg ist der beste und leider auch der langweiligste. Der Reichtum eines Lebens hängt nicht von der Zahl der Erlebnisse ab, sondern der Intensität des Erlebens. Willst du, dass man über dich herzieht, dann zieh dich zurück. Lügner - vielleicht nur aus Not, Ehrlich - vielleicht nur aus Glück. Wer Rosen schenkt, schenkt auch Dornen. Sind Lebewesen, die mit der Gabel Futter in den Kopf schieben, nicht eigentlich unfreiwillig komisch? 'Und immer wieder geht die Sonne auf!' Und immer wieder unter geht sie nicht? Alle Menschen werden Brüder! Sobald sie einen gemeinsamen Feind haben. Man bekommt nicht, was man verdient, weder im Guten noch im Schlechten. Vielleicht wünschen wir uns morgen schon, dass es uns so schlecht ginge wie heute. Man bittet nicht gern, man weiss ja, wie ungern man gibt. 23

Freundliches Gesicht? Öfter mal Etikettenschwindel. Mancher fragt sich die meiste Zeit, was mit der Zeit anfangen. Haben wir zuviel Sonne, träumen wir vom Regen. Nichts enttäuschender als eigene Fehler beim Freund. Ohne Wenn und Aber! Ohne Sinn und Verstand. Es geht nicht darum, positiv oder negativ zu denken, es geht darum, richtig zu denken. Ignoranz und Arroganz tanzen den gleichen Tanz. Worüber ein Mensch trauert, zeigt, was er wert ist. Wer immer fragt, ob es sich rechnet, hat sich sowieso schon verrechnet. Nachdem er alles hat mit sich machen lassen gemachter Mann! Liebe kennt keinen Hass, wohl aber Zorn. Partner unseres Körpers sein, nicht Sklave oder Tyrann! 24

Wer nur beobachtet, richtet zwar nichts aus, aber auch nichts an. Ist der Mensch ein Panzerschrank, dann ist das Kompliment der Schlüssel. Sage, was du willst der Ironiker grinst schon vorher. Die Leute weinen innerlich. Würde man ihre Tränen auf Turbinen lenken, wären unsere Energieprobleme gelöst. Drei Stunden quasselt sie penetrant. Als sie den Zug verlässt, höre ich noch: "Tja, ich bin überall beliebt!" Wer in Luftschlössern lebt, ist insofern König. Früher lebten wir lockerer die Psychologie hatte uns noch nicht gesagt, welche Dämonen in uns hausen. Man lügt weniger, um andere zu täuschen, als um sich selbst zu überzeugen. Wie man sich bettet, so lügt man. Wie man sich maskiert, so ist man. Wir würden uns nicht so viel Menschenkennntnis zutrauen, kennten wir uns besser. 25

Das beste Später ist jetzt. Mut - oft nur Angst vor Blamage. Die sich am glücklichsten fühlen, wissen vielleicht gar nicht, was das ist: Glück. Jeder Mensch ist ein Universum, in dem nur einer sich auskennt: Gott. In ein und derselben Person sieht der Mediziner den Organismus, der Normalmensch die Frau von nebenan, der Verliebte die Venus von Milo, der Theologe das Kind Gottes. Eine Fotografie ist das, worauf wir uns schlecht getroffen finden, damit man uns widerspricht. Ich muss mich vom Menschen erholen, ich geh in den Zoo. Alle Menschen sind gleich, nur fahren die einen mit Chauffeur, die anderen fahren selbst. Den du zum Lächeln bringst, den hast du vielleicht auch wieder zum Lachen gebracht. Mein Kampf, dein Krampf. 26

Ich bin empfindsam, du bist empfindlich. Der Harte ist nicht stark. Der Starke ist nicht hart. Wer sich langweilt, kann den Schuldigen leicht finden im Spiegel. Aller Anstand ist schwer. Die sich überall einrichten, richten wenig aus. Nicht alles, was Gold ist, glänzt. Nichts trauriger als Strenge aus 'Liebe', Unnachgiebigkeit aus 'Wohlwollen', Überforderung aus 'Sorge'. Man muss ehrlich sein, sich also nicht schlechter machen als man ist. Auch eine Lebenslüge: dass man leben könnte, ohne zu lügen. Wer überall Feinde sieht, ist selbst sein grösster Feind. Niemand verstimmt öfter als der Tonangebende. 27

Kommt es besser, ist der Pessimist verstimmt. Kommt es schlechter, redet der Optimist es schön. Macht dir der Nachbar das Leben zur Hölle, ist der globale Terrorismus weit weg. Man sitzt vor dem Café und mustert die Passanten durchs Schlüsselloch. Der Geizige freut sich weniger über das, was er spart, als er sich ärgert über das, was er ausgibt. Man unterscheidet zweierlei Menschen: solche, die immer dieselbe Dummheit machen, und solche, die immer eine andere machen. Lieber sind wir unter den Schlechten die Besseren, als unter den Guten die Schlechteren. Alles hat zwei Seiten, je nachdem, ob man es noch vor sich hat oder schon hinter sich. Wer kein Kleingeld riskiert, gewinnt auch nicht das Grosse Los. Die am meisten reden, sagen gewöhnlich am wenigsten. 28

Glückspilz: öfter mal Giftpilz. Niederlage. Mutter der Selbsterkenntnis. Je offener das Wort, desto geschlossener die Ablehnung. Selbstverwirklichung? Kümmere dich um andere! Die sauberste Lösung finden wir, wenn es uns dreckig geht. Die nichts erschüttert, erschüttern die Welt. Die über den Dingen stehen, stehen auch über den Menschen. Wo viel Ordnung, da auch viel Hackordnung. Überall die Finger drin! Kein Fingerspitzengefühl. Liebe macht blind für den Schatten, Hass für das Licht. Nur wer geliebt wird, bekommt, was ihm zusteht. Lieber öfter mal ausrasten als überall einrasten. 29

Gleichheit für alle - warum nicht? Aber wie macht man Dumme klüger und Kluge dümmer? Sorge - Mehrwertsteuer des Glücks. Erben heisst geniessen, was man bekommt, und vergessen von wem. Wenn du Karriere machen willst, achte weniger darauf, was du redest, als mit wem du redest. Seltsame Menschheit, in der man darauf angewiesen ist, nicht zu sagen, was man voneinander denkt. Das Unsympathischste an unsympathischen Leuten: aus der Nähe oft sehr sympathisch! Man muss den Mund nur aufmachen, und schon fliegen Halbwahrheiten heraus. Sprache, Kleid der Gedanken. Und natürlich meist von der Stange. Man führt sich auf wie ein Souverän und ist Sklave doch schon der Mode. Wer arbeitslos ist, ist ein armer Hund, denn selten ist man zufriedener als nach getaner Arbeit. 30

Gleichheit? Aber ja! Mit den oberen Zehntausend! Die hinreissendste Schönheit die mit den kleinen Schönheitsfehlern. Ist das Leben die Schule des Lebens, dann brauchen wir eine Schulreform. Auf jeden in Tragik Verstrickten, kommen hundert ahnungslose Besserwisser, die seine Lage verschlimmern. Gegenwart ist die Zeit, in der man Zeit hat, über Vergangenheit und Zukunft zu grübeln. Ohne Worte reden und doch hingerissene Zuhörer haben das schafft nur der Musiker. Man kann ein ordentlicher Mensch sein, und trotzdem auf den Rasenmäher verzichten! Was sich nicht rechnet, das zählt nicht. Was zählt, rechnet sich nicht. Die meisten haben keine grossen Fehler, und auch keine grossen Vorzüge. Und Gott gähnt. Das Leben geht weiter! Und manchmal denkt man: Das ist ja gerade das Blöde. 31

Weg zum Glück nicht über den Rummelplatz. Auf keiner Strasse so viele Schlaglöcher wie auf der Strasse zum Glück. Wer immer dem Glück nachjagt, den holt es nie ein. Fast alles, was happy macht, trägt zum Glück fast nichts bei. Glück macht schläfrig, Unglück hellwach. Kein Glück ist wirklich verdient, kein Unglück ist wirklich unverdient. Kein Glück ist vollkommen, denn man weiss schon: es geht vorbei. Glück ist gut, mit sich im Reinen sein besser. Vergnügen macht hungrig, Freude satt. Spass klammert Ernst aus, Freude hält ihn umklammert. Wer sich freuen kann, hat eine Menge Glück.

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MÄNNER UND FRAUEN

Beziehungskiste. Natürlich unheimlich vernagelt. Zwischen Mann und Frau steht es 1:1. Es kann aber auch umgekehrt sein. Polterabend! Und nicht der letzte. Eine Frau, die mit ihm in den Himmel will, kann die Wäsche gleich aufhängen am Regenbogen. Das Kind im Manne - natürlich im Trotzalter. Traum-Frau! Traum-Mann! Bis dir die Augen aufgehen. Beliebtester Missgriff: Griff nach dem Mister. Leichter als unsere Überzeugungen, wechseln wir die Partner. Erst knistert die Erotik, dann die Zeitung. Ehe zu Dritt: Mann, Frau, Analytiker. 33

Beziehungsdreieck. Für eine oder zwei Ecken zeitweise eine runde Sache. Niemand kann zwei Damen dienen. Nur Mut! Nicht alle Beziehungen sind wie die meisten! Ist es ein Intelligenzbeweis, sich erst zu vergöttern und dann zu verteufeln? Kinder veredeln Erzeuger zu Eltern. Hat mein Mann getrunken, redet er mich besoffen! Mit denen man gern ins Bett geht, wacht man nicht immer gern auf. Man soll den Abend nicht vor dem Morgen loben. Beziehungskiste, beziehungsweise Seifenblase. Auseinandergeredet ist man öfter als auseinandergeschwiegen. Single. Hofft auf Hauptgewinn, ohne Los zu ziehen. Frauen im Schmerz stärker als Männer. Mehr Übung. Abenteuer. Am Abend teurer. 34

Mode: Kleider machen Beute. Gleichberechtigung: Wie er ihr, so sie ihm! Liebesehe oder Vernunftheirat: Lotterie so oder so. Mancher wollte ein Häschen ins Bett und bekam eine Katze auf dem heissen Blechdach. Emanzipation ist der Ausbruch der Frau aus der ihr aufgezwungenen Unmündigkeit. Was er verspricht, könnte selbst sie nicht halten. Später wird Mutter zum Achmuttchen und Vater zum Achder. Gott schuf Eva aus Adams Rippe - harter Knochen. Keine Frau wird mehr geliebt, als von dem Verliebten, der sich nicht traut. Flucht aus dem Elternhaus - wegen der Nestkälte. Ratschläge prügeln die Kinder aus dem Haus. Wechseljahre. Wenn wir anfangen, die Partner zu wechseln. Ehepaar. Oft auch nur Singles zu zweit. 35

Manche Witwe ihm jetzt näher als in der Hochzeitsnacht. Wo die Lust anfängt, hört der Spass auf. Offene Zweierbeziehung - für doppelten Egotrip. Macho - von nah besehen, eher Mamacho. Aber natürlich nahm Adam den Apfel von Eva. Er liess sich bedienen. Je länger man den First-class-Partner sucht, desto sicherer kriegt man ein Second-hand-Exemplar. Nun frisst auch die sexuelle Revolutio n ihre Kinder. Sie kann mich nicht ausstehen, ich kenne ihr wahres Alter. Karrierefrauen finden leicht jemand fürs Bett und schwer fürs Leben. Wer keine Kinder will, will vielleicht bloss nicht erwachsen werden. Probleme mit Kindern werden bald der Vergangenheit angehören, in der es noch welche gab. Verzicht auf Kinderreichtum: Verzicht auf Johann Sebastian Bach. 36

Notnägel halten die Beziehungskiste erst recht nicht zusammen. Starkes Geschlecht - schwacher Trost. Das Beste an manchem Ehepartner: ohne ihn wäre es noch schlimmer. Kein Mann beobachtet so scharf wie die Frau, die ihre Rivalin keines Blickes würdigt. Es gibt Väter, die sich um ihre Kinder kümmern auch ohne gesetzliche Elternzeit. Frauenfrau und schon sind alle Männer Machos. Von Treue nicht mehr die Rede, um so mehr die Singe. Paare, trotz allem treu nicht immer doof, auch mal klüger. 'Deine emotionale Nähe gibt mir mentalen Rückhalt!' Er will sie ins Bett. Ehe-Konsens. Er will zuerst sterben, damit sie ihn überlebe. Sie zuletzt, um ihm die Trauer zu ersparen. Was nutzt die schönste Ehe, wenn man sich dauernd verliebt? Wahre Liebe: Ich kann dich leiden! 37

Emanze will nicht Mann werden können, sondern Mensch. Power-Frauen. Die ihre Mannsbilder an den Nagel hängen. Berufliche Probleme - Migräne der Männer. Manchmal muss man jemanden verlassen, um ihn zu finden. Manche trennen sich, um Besseres zu bekommen, und merken zu spät, sie hatten es schon. Lieber allein einsam als gemeinsam einsam. Nichts schmiedet mehr zusammen als Schicksalsschläge. Falls man zusammenpasst. Babys sind der lebendige Beweis dafür, dass man das Beste nur bringt zu zweit. One-night-stand. Die wahnsinnige Nacht vor dem idiotischen Tag. Gedanken kann man zurücknehmen, Worte nicht. Verschärfung der ordinären Verführung: Verweigerung. Liebe stirbt auch daran, dass nichts geheimnisvoll bleibt. 38

Nur Mut: Wenn es verheiratet nicht klappt, dann vielleicht ja geschieden! Hautnah im Bett, wildfremd im Büro: Angestelltenverhältnis. Nichts kränkender für einen Mann, als wenn die eigene Frau betrogen wird von ihrem Liebhaber. Männer, die nicht über sich reden, längst nicht so unangenehm wie Frauen, die nicht über sich schweigen. Nicht die Herzen der Frauen sind kompliziert, sondern die Köpfe der Männer. Männer fasziniert die Kriegskunst Caesars, Frauen die Nase der Cleopatra. Dem Hurenbock sind alle Frauen Huren, andere kriegt er nicht. Man geht immer lockerer aufeinander zu und findet immer schwerer zusammen. Auch wenn Kinder noch klein sind, sind ihre Leiden schon gross. Liebe kann nur wachsen, wo man Ansprüche beschneidet. Seine eigenen. 39

Es spricht nichts gegen die Ehe, es sei denn Mann und Frau. Aktueller Elterntrost: Kinder, die noch schlimmer sind, als die eigenen. Wer nicht die Faust in der Tasche ballen kann, gehört weder in Politik noch Ehe. Einem Mann, der im Haushalt seine Frau steht, glaubt man sofort, dass er schwer was leistet. Glückwunsch zum Muttertag, Mami, und wann gibt es endlich Kuchen? Unerzogene Eltern kriegen keine erzogenen Kinder. Eltern, die motivieren durch Lob, müssen nicht disziplinieren durch Strafe. Paare, die keine Kinder wollen, gleichen Wirtsleuten, die keine Gäste wollen. Die grössten Aufreisser sind die Zuhälter. Scheisse, sagte er, als sie das Klo säuberte. Ehe schon halb gelungen, wenn man miteinander schweigen kann, ohne einander zu langweilen. Das Dumme an der weiblichen Logik: sie ist auch noch intelligent! 40

Warum küsst du mich, Schatz? Ist was nicht in Ordnung? Die meisten Ehemänner interessieren sich nicht für eine andere Frau, sondern für alle. Mancher verlor seine grosse Liebe und ist traurig, weil er sie nicht vermisst. Wo du gestritten hast, bleibt eine Narbe. Wo du ignoriert hast, bleibst du schön. Keine Frau kann der Erwartung entsprechen, die ihre Schönheit in Männern wekt. Am tiefsten schmerzt manche Hinterbliebenen, dass sie nicht mehr das letzte Wort haben können. Warnung vor Kinofreaks! Sie messen dich an Roberts und Redford. Konflikte, die man übergeht, sind oft wie Hunde, die man übersieht: sie verstummen und schlafen ein. Was am meisten fasziniert, ist schnell das, was am meisten nervt. Aber dann sind manche schon verheiratet. Alt ist ein Paar, wenn die grandiosen Kräche zerbröseln in Nörgeln und Kabbeln. 41

Vielleicht das Schönste, was eine Frau von sich sagen kann: Ich bin mein eigener Herr! Man meint nicht Mann, sondern Mensch. Weshalb frau sich entspannnen kann: frau ist immer mitgemeint, wenn man man sagt. Schöne Frauen haben etwas Asoziales weniger schöne fühlen sich mies. Und am Sonnabend Jagd nach dem zukünftigen Exmann und der zukünftigen Exfrau! Frauen und Männer nicht nur gleichberechtigt, sondern gleich, sobald Mädchen mit Panzern spielen und Jungs mit Puppen. Heteros und Homos. Moralisch so verschieden wie Rechtshänder und Linkshänder. Gefährden Homosexuelle das hehre Leitbild der Familie, dann Zölibatäre erst recht. Immer mehr Kinder ungefragt gemacht und ungefragt im Stich gelassen. 42

Mann und Frau gleichberechtigt! Besonders der Mann. Kein Mensch liebt oder heiratet einen Menschen wegen seiner Medaillen, insofern kann man sie sich sparen. Manche haben Partner wie Fernsehstationen, zappen von einer zur anderen und bleiben frustriert. Nichts macht einsamer als die Vorlieben, die ein Mensch, den man liebt, nicht teilt. Interessante Partner - riskante Partner. Späte Amouren bringen noch mal auf Touren. Eine Frau vergisst leichter das grösste Präsent, als das kleinste Kompliment. Mann und Frau vor allem gemeinsam, dass sie sich unterscheiden. Mehr Leute leben zölibatär, als man denkt, besonders, wenn sie verheiratet sind. Wenn Kinder wieder höflich sind, Männer galant und Frauen charmant, möchte ich wiedergeboren werden. Was Eheleute voneinander halten, wissen am besten ihre Geliebten. 43

Der richtige Zug fährt immer vom anderen Bahnsteig ab. Und immer mit den hübscheren Frauen. Familie problematischste Gemeinschaftsbildung, ausgenommen alle anderen. Auf der Sexpiste lieben Frauen das Wedeln und Männer die Schussfahrt. Frauen leben länger als Männer. Sie dürfen sich eine Weile von ihnen erholen. Die glücklichsten Frauen sind möglicherweise Grossmütter, die geliebt werden von ihren Enkeln. Was verhütet man? Krieg. Unfall. Krankheit. Kind. Den Unterschied zwischen Wort und Tat kennt niemand besser als die Frau des Pastors und der Mann der Pastorin. Viele Männer haben Kinder wie Spielzeug, das die Ehefrau instandhält. Nicht ganz ungeschickt ist es, seine letzte Frau zuerst zu heiraten. Sie konnte mich gut leiden. Bis ich ihren Mann überlebte. 44

Normalo zu langweilig, Macho zu brutal, Softy zu weich wie denn nun, baby? Das Problem: Man erwartet einen Geschlechtspartner und bekommt einen Menschen. Ehe - die ersten 10 Jahre oft die härtesten. Künstlerschaft. Das imponierendste OEuvre bietet die berufstätige Hausfrau und Mutter ohne Mann, Oma, Rücklagen und Beachtung. Die grössten Verführerinnen verzeihen ihren Männern am wenigsten, wenn eine andere sie verführt. Mancher Mann ist nur anhaltend treu, weil er zwischendurch ein bisschen untreu ist. Fünf Minuten Sichtaubstellen erspart oft fünf Stunden Streit. Früher bekam man Wunschkinder, heute bekommt man Karrierehindernisse. Falls überhaupt. Hätte Eva das Tamtam geahnt, das Theologen um den Apfel machen, sie hätte auf ihn verzichtet. 45

Liebe unter allen Erfahrungen die himmlischste und irdischste, beides zugleich. Kinder fragen nicht, ob Papa bei der Zeugung dabei war, Hauptsache, er ist okay. Manche heiraten, weil sie lieben, manche lieben, weil sie geheiratet werden oft allerbeste Partner. Sturm und Wolkenbruch setzen der Ehe zu, erst recht aber Zugluft und Nieselregen. Nicht auf die grosse Ananas warten, sondern sich seine Äpfel schmecken lassen, das macht eine gesunde Beziehung! Szenen einer Ehe nicht so wichtig wie das ganze Stück. Treueste Liebe - die unerfüllte. Liebe wie Feuer: man muss Holz nachlegen.

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JUNGE UND ALTE

Hurra, wir altern nicht! Jedenfalls kriegen wir keinen Sitzplatz angeboten. Je langsamer die Schritte, desto schneller die Zeiger. Die Alten heissen nun Senioren, sie wohnen nicht mehr, sie residieren, nur sterben müssen sie immer noch. Alt sind wir, wenn die Jungen uns einschüchtern. Je weniger Haare, desto öfter zu Berge. Das Alter hat auch Vorteile. Man ist eben alt und nicht mehr bloss blöd. Junge Schlanke grinsen über alte Dicke: ihre eigene Zukunft. Alte natürlich unbeliebt. Sie demonstrieren, was bevorsteht. Jung kriegt man es nicht, alt bringt man es nicht. 47

Jungsein ist das einzige Problem, mit dem man garantiert fertig wird. Lässt Lebenskraft nach, nimmt Nachsicht zu. Alt ist, wer sich noch an die Zeit erinnert, als die Luft rein war und der Sex schmutzig. Zu den Vorteilen des Alters gehört auch die Freude am Begehrenswerten ohne Begierde. Manchem Alten fällt es schwer, sich zu freuen er hat Angst, es könnte das letztemal sein. Junge haben meist zu viele Interessen, Alte zu wenige. Lieber 'Jugend von heute' als Schnee von gestern. Leben wie Roman: nach der Hälfte kommt das Ende immer schneller. Die Alten drängeln an der Ladenkasse sie spüren, ihre Zeit wird knapp. Was die Jungen mehr haben, springt ins Auge. Was die Alten mehr haben, sieht man nicht. Wer möchte auf Dauer in dem Alter sein, in dem man dauernd ein Bett vorm Kopf hat? Wir leben weiter in unseren Kindern? Welchen Kindern? 48

Im glatten Gesicht spiegelt sich Satan, in den Runzeln räkelt sich Gott. Das Beste im Leben hat nichts gekostet. Im Alter wird man sehr weise oder sehr böse. Junge werfen sich locker weg, Alte suchen mühsam das verlorene Ich. Alterssünden sind gefährlicher als Jugendsünden: weniger Zeit, sie wieder gut zu machen. Je älter man wird, desto besser versteht man: Mit dem Leben kann man nicht flirten, man muss es heiraten. So aufgekratzt, Opa? 'Todesanszeigen gelesen! Und wer lebt noch? Ich!' Eltern, das sind die, mit denen die Kids sich lieber nicht blicken lassen. Leben - um so kürzer, je mehr man rausholen will, um so länger, je mehr man reinsteckt. Jungen fehlt der Becher, Alten der Wein. Das Überraschende am Alter ist oft, dass man sich jünger fühlt als in der Jugend. Nun soll uns also der Schönheitschirurg den Zahn der Zeit ziehen. 49

Alt ist man, wenn alte Leute einem jung vorkommen. Jung bist du noch, so lange Junge deine Gesellschaft schätzen. Das Beste im Leben nimmt man sich bloss vor. Wer mit siebzig eine reizende alte Dame sein will, muss mit siebzehn anfangen. Wer alt ist, hat nicht unbedingt lange gelebt, sondern war vielleicht nur lange da. Das wird krass, wenn die Fit-for-fun-Freaks ins Pflegeheim schlurfen. Was Junge nicht wissen: dass Alte einander noch die Jugend ansehn. Je idealer die Ziele, desto sinnvoller das Leben. Altern heisst oft, gerade zu dem Typ werden, der einem früher auf den Geist ging. Das Leben ist die Chance, die Person zur Persönlichkeit zu machen. Hohes Alter erreicht, weil in allem Mass gehalten! Fragt sich, ob es das wert war. 50

Lebenslauf. Meist laufen wir unter ferner liefen. Das Leben ist eines der gefährlichsten und am allergefährlichsten im Mutterleib. Mancher wartet auf die schönste Zeit und ahnt nicht, dass er sie gerade hat. Nichts erfreulicher als Todesanzeigen: man ist noch jünger als die älteren Toten und schon älter als die jüngeren. Zerbrechliches Glück - ein Unglück mehr. Auch ein Vorteil des Alters: Man kann unverdächtige Komplimente machen. Kein Alter ist glücklich oder unglücklich, glücklich oder unglücklich sind wir. Das Leben besteht meist darin, das Notwendige für überflüssig zu halten, und das Überflüssige für notwendig. Das Leben ist ein Sonderangebot an Chancen, die wir mit Vorliebe verschenken. Leben heisst immer wieder, von zwei Übeln das kleinere wählen. Was immer nur anderen passiert, ist schon unterwegs zu uns. 51

Rausgeschmissene Zeit, blöder als rausgeschmissenes Geld. Das schwerste Alter: Nicht mehr die Vorteile der Kindheit, noch nicht die Vorteile des Erwachsenseins! Auch im Alter sieht man Schönheit und endlich mit neutralem Wohlgefallen. Wenn es um Leben und Tod geht, fangen wir an zu beten, was heissen soll: Wir müssten es eigentlich immer tun. Das Beste im Leben kommt durch die Hintertür. Arbeitsplatzdepression. Sonntagsneurose. Pensionsschock. Auch ein Lebenslauf. Es kommt die Zeit, da werden die Europäer verreisen, um wieder mal junge Gesichter zu sehen. Das Leben ist der einzige Porzellanladen, ohne ein einziges fehlerfreies Stück. Wir können unser Schicksal nicht ändern, wohl aber unsere Einstellung dazu. Da staunt das Schicksal. Wer nicht ans Ende denkt, denkt nicht zuende. 52

Ich liebe Beerdigungen. Endlich verrutschen die Masken. Je länger ein Angehöriger tot ist, desto vorbildlicher hat er gelebt. Nie hast du so viele Freunde, wie bei deiner Beerdigung. Überzeuge dich selbst!

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LEBENDE UND TOTE

"Lebe ich, lebe ich! Bin ich tot, bin ich tot! Wo also liegt das Problem?" In dir. Erst ein Leben mit dem Tod gibt dem Leben täglich Brot. Alle grosse Kunst kommt aus grosser Nähe zum Tod. Immer sind wir auf dem Bahnhof, hinterherwinkend unserem jüngeren Ich. Erstaunlich, wie unbeschwert wir sind mit dem Todesurteil in der Tasche. Und hätten wir alles Glück der Welt, den Tod hätten wir auch. Warum kümmern um Sterbende? Tja, letzte Möglichkeit. Elendes Leben! Aber wehe, es endet. 54

Das Leben vertagt den Tod. Sensenmann. Der einzige Mann, der nie untreu wird. Grinsender Totenschädel. Zeigt unseren Lebenslügen die Zähne. Was nach dem Tod ist, erfahre ich ja dann! Könnte zu spät sein. Die Todesangst dementiert die Klagen über das Leben. Ob Geburt oder Tod wenn's drauf ankommt, wird man nicht gefragt! Wer am Lebensende sagt, er würde es noch mal genau so machen, bei dem ist was schiefgelaufen. Halb schon ums Leben gekommen, hofft man, um das Schlimmste herumzukommen. Vielleicht wird so viel geredet, weil wir spüren, wie bald wir für immer die Klappe halten. Man hat früher nicht so lange gelebt, ist aber auch nicht so lange gestorben. Wir werden immer älter. Lohnt vielleicht immer weniger. 55

Die Uhr schlägt. Zu. Kommt man in die Jahre. erlebt man seinen Schöpfer als Abbruchunternehmer. Gelebtes Leben - wie abgedrehter Film, nur kann man nicht schneiden. Wir alle beissen ins Gras. Und mancher schon mit den ersten Zähnen. Auf dem letzten Loch pfeift man keine schöne Melodie. Wir produzieren im Leben so viel Blödsinn, dass wir dem Tod dankbar sein sollten, wenn er mal Schluss damit macht. Wer keine Angst vor dem Tod hat, ist derselbe, der keine Phantasie hat. Meist verplempern wir unsere Tage, als hätten wir davon wie Popcorn. 'Unerwartet von uns gegangen!' Unerwartet? Lieber als der persönliche Tod wäre uns der Weltuntergang, man hätte Gesellschaft. Irgendwann sogar Lyrik gefragt: für die Sterbeanzeige. 56

Mensch wie Schneemann, Leben wie Tauwetter. Das Leben ist zugleich Holz und Feuer. Nur der Tod geniesst das Leben ohne Rest. Redet man von letzten Dingen, lächeln Gläubige und grinsen Ungläubige. Wohin wir auch gehen, wir gehen nach Hause. Sogar durchs schwarze Loch. Der Tod zeigt triumphierend die Sanduhr. Gott nimmt sie und dreht sie einfach um. Auf langes Leben hoffen, heisst Gott beleidigen. Unter Unendlichkeiten macht er's nicht. Nach dem Tod der Überlebensschock. Wetten, dass? Leben - Geburtsstunde des ewigen Lebens. Wer nicht glaubt, dass er weiterlebt, ist schon ein lebender Leichnam. Sterbetag - Geburtstag. Letzte Reise - die beste. Alles klar - drüben. Was sogar Sterbenden half, verdient wahr genannt zu werden. 57

Wer ewig leben will und nicht an den lieben Gott glaubt, der muss halt vorlieb nehmen mit dem Onkel Doktor. Die Toten haben es schon durchgemacht, das ist es, was uns an ihren Gräbern verstummen lässt. Die Toten brauchen den Friedhof nicht, aber die Lebenden. Trauer um die Toten, auch Trauer um versäumte Gelegenheiten. Es gibt keine ausgeglichene Lebensbilanz. Schon die Dankesschuld ist untilgbar. Wann, wo und wie ich auch falle, ich falle in die Hände Gottes. Also gar nicht. Amen.

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KLUGE UND DUMME

Alles klar! Denkste. Lieber Stroh im Kopf als Beton. Was wir nicht verstehen, nennen wir verrückt. Dummheit - Nährboden der Schläue. Besser billige Besserwisser als teure Weltverbesserer. Dieser Idiot meiner Meinung? Dann hab ich mich geirrt! Nicht bessere Argumente überzeugen, sondern eigene. Keine unnötigen Gedanken machen! Also wohl gar keine. Was uns nicht einleuchtet, nennen wir dunkel. Weisheit: Leben mit richtigen Fragen. Das Einfache ist oft nur das Einfältige. Wo Strohkopf, da Strohfeuer. 59

Je debiler, desto stabiler. Am mächtigsten sind Ideen. Man kann sie nicht erschiessen. Konsens über Dissens - intelligente Harmonie. Ausdiskutieren! Und wenn zwei Esel? Intellig enz differenziert, Dummheit simplifiziert. Gedankenarbeit. Die Probleme werden grösser, aber auch lohnender. Das Einfache - Gegenteil des Naiven. Wir wissen nicht ein noch aus, aber über alles Bescheid. Erfolgreicher als der originelle Gedanke ist die originelle Formulierung. Je näher die Lösungen, desto grösser die Probleme. Lieber Dummschwätzer als Klugscheisser. Lieber intelligente Fragen als dumme Antworten. Gescheite stellen in Frage, Dumme an die Wand. Milliarden Hirnzellen! Wir aber knausern. Gedankenlose schlagen die Zeit tot, Nachdenklichen läuft sie davon. 60

Dumm gedacht, dumm gemacht. Intelligenz, wie alles, Glück und Unglück. Macht Denken nicht klüger, dann doch lebendiger. Wer sich irrt, ist deshalb nicht schon unglaubwürdig. Wer alles versteht, muss vieles missverstehen. Ohne Paradoxien denkt man einfacher und verkehrter. Bildung wie Wissen? Mensch wie Computer. Gefangen im Knast der Kategorien, spielen wir Direktor. Wer B sagt, bloss weil er A gesagt hat, macht sich auch ein X für ein U. Die am wenigsten wissen, wissen immer alles besser. Pannen kein Argument gegen Auto, Irrtümer keins gegen Denken. Mehr als Kompetente überzeugen Sympathische. Wer immer grundsätzlich wird, ist deshalb nicht grundsätzlich im Recht. Die meisten Definitionen sind Konfessionen. Je wahrer, desto rätselhafter. 61

Tragödie. Dummheit trumpft auf, Intelligenz verliert die Nerven. Die Klugheit hat einen schweren Stand zwischen siebengescheit und dummdreist. Das uns wahr Erscheinende nicht immer wichtig, das uns Wichtige nicht immer wahr. Nicht alles schon richtig, weil interessant, nicht alles schon falsch, weil langweilig. Weltanschauung. Weniger logisches System als Charaktersyndrom. Ein Dummkopf kann trotzdem ein Schlaumeier sein. Keine Erfahrung kann Intelligenz ersetzen. Intelligenz aber Erfahrung. Phantasie beides. Jede Firma hat heute ihre 'Philosophie', jede Polizeidienststelle ihre 'Erkenntnisse' und jedes Sensationsblättchen seine 'Wahrheit'. Der Weise ist Philosoph, aber der Philosoph muss nicht weise sein. Hegel optimistisch, Schopenhauer pessimistisch. Hegels Hörsaal voll, Schopenhauers leer. Philosoph: Nousknacker. 62

Wahrheit interessiert nicht so sehr, sie könnte ja unangenehm sein. Wenn Plato und Aristoteles in Teilen irren, sind deshalb Hinz und Kunz noch nicht im Recht. Stell dich dumm, und du fängst die Dummen. Man lernt aus Erfahrung - gern auch das Falsche. Nachdenken führt vielleicht in die Irre, Denkfaulheit sicher. Allgemeine Gedanken isolieren, originelle verbinden. Besonders geistreich oft der Materialist. Je ärmer an Informationen, desto reicher an Gewissheiten. Kenne ich eine deiner Politmeinungen, kenne ich alle. Paradoxie. Lösung nicht durch Denken, sondern durch Leben. Was behauptet wird mit falschen Argumenten, kann dennoch richtig sein. Vernunft - meist auch nur Hure der Effektivität. Emotionsfrei denken - wie eiskalt lieben. Wo die Logik stolpert, tanzt der Witz. 63

Ambivalenz des Urteils, komplementär zur Paradoxie des Seins. Kleine Gedanken lieben grosse Worte. Wer nicht kritisch denkt, denkt überhaupt nicht. Was Gewisses weiss allenfalls das Gewissen. Ganz oben oder ganz unten erkennen wir besser als so drunter und drüber. Der Dumme meint, was er sagt, der Gescheite fragt sich, ob er das, was er sagt, auch meint. Schwierige Probleme - oft nur Probleme schwieriger Leute. Dreiviertelwahrheit, die Missstand zementiert, schlimmer als Halbwahrheit, die ihn erschüttert. Jede Erkenntnis wird bezahlt mit Irrtümern. Dummköpfe machen es sich zu leicht, Eierköpfe zu schwer. Der Weise ist nur ein klügerer Narr und weiss es. Vermögen. Unendlich ersehnter als Denkvermögen. Dummheit macht beliebt, sie schmeichelt der Denkfaulheit. 64

Intelektueller. Rufmörder des Intelligenten. Manche Wahrheit ist einfach, aber wir wollen sie einfach nicht wahrhaben. Spassverderber - die dir das Grübeln verübeln. Rennt Wahrheit los, ist Interesse schon am Ziel. Die zentralen Ideen liegen heute an der Peripherie. Man muss nicht alles wissen? Man kann sich aber für alles interessieren. Grübeln als Hobby - keins billiger und interessanter. Ideen aus dem Kopf seltener als Ideen aus dem Bauch. Die Irren sind nicht verantwortlich. Im Gegensatz zu uns armen Irren. Der Denker spekuliert, der Denkfaule rekapituliert. Hardware und Software ersetzen nicht Headware. Wer nicht kritisch ist, ist nicht konstruktiv. Skepsis - oft nur Ausweichen vor Entscheidung. Ist einer gaga, ist ihm alles blabla. Wo Vorurteile, da Benachteiligte. 65

Glasklar! Und schon Scherben. Nur Esel legen sich mit Eseln an. Am unerfreulichsten, die sich ungern informieren, aber gern dozieren. Ein Haufen Wissen ohne Zusammenhang: ein Haufen Geld in einem Safe ohne Schlüssel. Man kann nicht alles wissen, muss aber auch nicht auf den Rest verzichten. Zu viel Kritik unangenehm, zu wenig Kritik ungesund. Skepsis - oft nur Tarnkappe der Urteilsschwäche. Im Fernsehen gewinnst du Millionen für Lexikonwissen dem Gegenteil von Bildung. Beliebter als Argumente für Fragen sind Argumente für Antworten, egal welche. Nie wird leichtfertiger geurteilt als bei Fragen, deren angemessene Beantwortung viel Mühe und Geduld erfordert. Sogenannte Erkenntnisse mit Vorliebe interessegeleitete Irrtümer. Ideen haben Flügel, Ideologien Stiefel. Überzeugungen - meist überzogen. 66

Die nie zur Kenntnis nehmen, wissen immer am besten Bescheid. Ich glaube nicht, dass wir viel denken. Ich denke, dass wir viel glauben. Unfair, von allen dasselbe zu verlangen; für manche Einsicht muss man alt genug sein. Kumpanei von Intelligenz und Vorurteil unschlagbar! Alles ist problematisch, es zu leugnen besonders. Zynische Vernunft. Galgenhumor der Sackgasse. Wo Fundamentalismus, da fundamentaler Irrtum. Der Witz bei der Sache ist immer der Ernst. Mehr als Gründe überzeugen Folgen. Die schönsten Komplikationen beschert uns der schreckliche Vereinfacher. Das Vorurteil ist immer im Vorteil. Es braucht keine Gründe. Standpunkt ist Standpunkt! Doof bleibt doof. Kenne ich deine Stellung, kenne ich deine Stellungnahme. 67

Auch Volksmund nicht klüger als Volkskopf. Das richtige Neue braucht tausend Argumente, das falsche Alte keins. Öffentliche Meinung bequemer als private Überzeugung. Wir können gar nicht alles beurteilen und tun dennoch nichts anderes. Nichts ist vollkommen, am wenigsten Überzeugungen, Lösungen, Rezepte. Rational oder emotional? Wieso oder? Ganz ohne Klugheit kann man nicht vernünftig sein. Mancher ist nur tolerant, um sich Auseinandersetzung zu ersparen. Wer viel studiert, vergisst viel, merkt aber sofort, wenn ein Urteil nicht stimmt. Lieber ein Einfall, der wegbleibt, als einer, der zu spät kommt. Mancher Idealist: besinnungslos berauscht. Mancher Pragmatiker: besinnungslos nüchtern. Mancher denkt kompliziert aus Angst vor simplen Tatsachen. 68

Schraube loker - und immer was los! Lieber Sancta simplicitas als Docta ignorantia. Negatives schlägt man sich aus dem Kopf, falls nicht philosophischer Kopf. Vorurteil - Rettungsring geistiger Nichtschwimmer. Besser Zorn, der ans Licht bringt, als Gelassenheit, die verdunkelt. Dass wir über alles endlos streiten können, zeigt, wie fundamental dumm wir sind. Wahrhaft harmonisch denkt, wer denken kann in Dissonanzen. Mephisto - Schutzpatron der zynischen Vernunft. Irdischer Tiefsinn - himmlischer Nonsens. Die immer Ja-aber sagen, sind öfter mal auf der Suche nach der Ausflucht, als nach der Wahrheit. Wer nur das akzeptiert, was er versteht, muss sich mit wenig zufrieden geben. Jedem das Seine. Beine müssen nicht denken, Köpfe nicht tanzen. Wir diskutieren, die anderen schwätzen. 69

Meist denken wir gar nicht, wir urteilen bloss. Wenn schon Gerede, dann lieber geistreiches als dummes. Ideal-Typ. Weder kluger Miesmacher noch dumme Frohnatur. Ich übe Kritik, du bist destruktiv. Wer nichts ernst nimmt, wird nicht lange ernstgenommen. Ich habe Ideen, du hast Ideologien. Je langsamer der Verstand, desto schneller die Hand. Gelobt sei, wer nichts zu sagen hat, und trotzdem schweigt. Der Geist ist willig, der Verstand ist schwach. Oft verrät der erste Satz die ganze Lebensphilosophie. Der Klügere gibt nach, der Dümmere rückt vor. Besser nicht alle Tassen im Schrank, als Elefant im Porzellanladen. Je hohler der Kopf, desto dicker das Fell. Nichts veranlaßt weniger zum Nachdenken als Denkmäler. 70

Je dümmer man ist, desto gescheiter kommt man sich vor. Mein Urteil objektiv, deins objektiv subjektiv. Es gibt keine letzte Wahrheit? Dann ist auch das keine. Versteht man unter Intelligenz, dass sie versteht, dann ist der Computer, versteht sich, ein Depp. Auch die geistvollste Unterhaltung langweilt den, der langweilig ist. Der Feuilletonist zweifelt an allem, ausser an der Botschaft der Xaxlaptclqaxa-Indianer. Ausgewogenheit. Wenn alles Gewichtige raus ist. Die schönsten Wahrheiten sind die ungeschminkten. Experten leben davon, dass andere noch weniger wissen als sie. Das Herz erkennt Gott leichter als der Verstand, woran man sieht, wie intelligent es ist. Der Dummkopf hat oft recht und weiss selten, warum. Kenne ich deine Absichten, kenne ich deine Ansichten. 71

Kennen Sie den? Ich muss es doch wissen, mein Schwager ist Experte! Lieber hundert Ungebildete als ein Eingebildeter. Wo Blut fliesst, sind Vorurteile im Spiel. Mehr als Argumente überzeugen Anekdoten. Man kann nicht alles verstehen, man muss es dennoch versuchen. Zwecks Illumination der Geistlosigkeit allen Seins besonders beliebt das intellektuelle Feuerwerk. Je weniger der Schlaumeier etwas versteht, desto geistsprühender verhöhnt er es. Vorurteil. Von Kitsch verzuckert, von Kunst zersetzt. Der Kluge prahlt nicht mi t seinem Wissen, wohl aber der Klugscheisser. Sag, was du willst, man macht sich schon seinen Reim auf sich. Wenn wir auf Paradoxien stossen, nähern wir uns der Wahrheit. 72

Heirate keinen Ironiker, er grinst schon beim Jawort. Der Ironiker hat Glück, er ist immer auf der sicheren Seite. Und rede einer noch so vernünftig, Ironie setzt ihm die Narrenkappe auf. Der Intellektuelle heisst nach dem, worauf er sich reduziert. Intellektuelle sind Leute, die so lange die Esskultur problematisieren, bis der Braten kalt ist. Intellektuelle ohne Erfahrung nicht besser als Erfahrene ohne Intelligenz. Ist ein Einfall so genial, dass er sofort einleuchtet, heisst es: Na und? Wird eine Problemerörterung unangenehm, entdecken wir 'wichtigere Probleme'. Am schnellsten mit dem Urteil fertig: wer nicht zu Ende denkt. Der Spiesser meint, was er ignoriert, das gibt es nicht. Eigentlich ein hässlicher Zug, sich die Welt schönzumalen. 73

Auch geistige Höhenflieger sind angewiesen auf Bodenpersonal. Die immer schon alles wissen, ahnen nicht, wie wenig sie wissen, weil sie nicht wissen, dass man nie auslernt. Kein Fitness-Studio für Brainbuilding! Intelligent ist man sowieso. Meist sind wir gar nicht verschiedener Meinung, sondern reden nur von verschiedenen Dingen. Wie intelligent ist ein Intellektueller ohne andere Erkenntnisquellen als Intelligenz? Ringen um die Wah rheit! Meist auch nur Verteidigung von Halbwahrheiten. Weil sie ihren Taxifahrern zuhören, glauben Kulturfuzzis, sie kennen 'die Leute'. Was längst klar ist, lässt man gern bestätigen durch umfängliche Forschungsprojekte auf Kosten der Steuerzahler. Der Berater weiss es oft auch nicht besser, vermarktet aber besser, was er nicht weiss. Die schwerste körperliche Arbeit leistet, wer sein Gehirn strapaziert. Dumm gedacht, dann gute Nacht. 74

Schöngeist: über Tretmühle im Elfenbeinturm beweihräuchernd sein Ego. Gesunder Menschenverstand. Geisteskrankheit der Normalen in einer absurden Welt. Der gesunde Menschenverstand muss öfter mal durchgerüttelt werden, oder es wird ein kranker Menschenverstand. Der gesunde Menschenverstand war schon gegen Menschenrechte, Demokratie, Umweltschutz, Eisenbahnen, Jeans und Jesus. Der gesunde Menschenverstand war schon für Hexenjagd, Kolonien, Sklaverei, Hitler, Antisemitisms und Werbefernsehen. Wir urteilen permanent über Dinge, von denen wir nicht wirklich etwas wissen wir überholen, bevor wir einholen. Experte ist doch jeder. Wenigstens im Fussball, ganz zu schweigen von der internationalen Politik. Immer mehr Leute reden von ihrer Denke. Für meine Fühle ganz ohne Grund. Wird das Normale das Ideale, wird das Banale das Zentrale. 75

Harter Typ. Weicher Keks. Ideologie. Faulbett der Voreingenommenheit. Manche verraten schon mit dem ersten Satz ihre ganze Lebensphilosophie. Kopf wie chaotischer Zettelkasten. Infomensch. Ich bin zu skeptisch, um Skeptiker zu sein. Kein grösserer Traumtänzer als der Realist, der nur anerkennt, was er anfassen kann. Das Ja lächelt, das Nein grinst. Nicht als hätten wir nicht genug Verstand, wir fangen nur zu wenig Gescheites damit an. Esoteriker haben es leicht: Irgendwo verhält sich alles irgendwie. Alle Philosophie - erst mal Psychologie. Am schnellsten einigen wir uns über das, wovon wir am wenigsten verstehen. Ideologie - Idiotie, systematisiert. Die besten Ideen hat man nicht, wenn einem danach ist. 76

Argumenten ist es egal, ob sie gelassen vorgetragen werden oder mit Schaum vor dem Mund. Skeptiker fordern Denken statt Glauben, und doch glauben auch sie, und sei es an nichts. Manche reden so schnell, dass ihr Verstand nicht mitkommt. Menschenwürdiger als faule Dummheit ist fleissiger Irrtum. Eher verzichtet der Teufel auf seinen Pferdefuss, als unsereins auf ein Vorurteil. Um einen Intellektuellen aus dem Konzept zu bringen, braucht es starke Argumente oder lange Beine. Die Aufklärung ist nicht überholt, in Kneipe, Moschee und manchmal Oval Office hat sie noch kaum angefangen. Wer nicht die Freude kennt, seine Seifenblasen zum Platzen zu bringen, wird nie ein Philosoph. Ich weiss, dass ich nichts weiss! Ach ja? Dann weisst du auch das nicht. Die meistem Überzeugungen hat man, weil man sie nicht prüft. 77

Intelligenz funktioniert nur zusammen mit Menschlichkeit. Wir wissen mehr, als wir glauben, aber wir sollten nicht alles glauben, was wir wissen. Überall Vernünftiges! Nur passt es nirgends zusammen, es sei denn in Religion. Alles ist fragwürdig. Würdig der Frage an Gott. Was alle Welt für wahr hält, muss nicht schon wahr sein im Himmel. Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte, sondern im Jenseits. Der wahre Weise ist der Religiöse. Den Sinn erfahren wir nicht, es sei denn durch Liebe.

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GUTE UND BÖSE

Wer geht, hat Dreck am Schuh. Nichts moralisch fragwürdiger als moralische Entrüstung. Tragisch am Moralisten ist, dass er nichts von Tragik versteht. Nichtstun, das niemandem auffällt, kann verwerflicher sein, als Böses tun, das in die Zeitung kommt. Charakterstärke hält es mit den Schwachen. Jeder lobt die Tugenden, die ihm Spass machen. Niemand weiss, wie schwer die Last ist, die er nicht trägt. Je schwerer Vergebung fällt, desto nötiger ist sie wahrscheinlich. Wer sich verrannt hat, braucht Brücken, nicht Mauern. Mensch, der verdammt, verdammt schlechter Mensch. 79

Mit allen Wassern gewaschen! Eine echte Drecksau. Verlogenheit - oft nur Verlegenheit. Mangel an Charakter nicht so schlimm wie Mangel an Gewissen. Ehe man tadelt, sollte man prüfen, ob man entschuldigen kann. Immer, wenn wir jemanden zum Lächeln bringen, klopft Gott uns anerkennend auf die Schulter. Beim guten Rechner rechne mit nichts Gutem. Ob man will oder nicht - man sät. Ob man es glaubt oder nicht - man erntet. Falsches nicht richtig, weil auch andere es machen. Was überfordert, kann dennoch notwendig sein. Wer genetisch ein Arsch ist, dem darf man eigentlich nicht reintreten. Nicht jeder gute Mensch kann intelligent sein, eher schon jeder Intelligente gut. Wie man sich bettet, so lügt man. Einen Mitwisser hat man immer das Gewissen. 80

Schuld - Schatten der Freiheit. Erlaubt ist, was der Vernunft gefällt. Das beste Gewissen ist das schlechte. Erbsünde? Erblast, die wir unseren Kindern aufbuckeln. Mach ich es nicht, macht es ein anderer! Bin ich doch lieber gleich selbst ein Schwein. Idealismus kann objektiv böse sein, subjektiv nie. Mein Fehler - Fauxpas. Dein Fehler - Skandal. Sind wir an der Menschheit schon fast verzweifelt, zwinkern die grossen Humanisten uns aufmunternd zu. Unser Respekt vor Kindern kommt daher, dass Unschuld beschämt. Das Gute, auch wenn chancenlos, bleibt richtig. Am lautesten verdammen wir die Laster, die uns sowieso nicht liegen. Abtreibung, Sterbehilfe, Selbstmord. Wer nichts von Tragik weiss, soll schweigen. Streng in den Forderungen! Nachsichtig im Urteil! 81

Moral ohne Liebe schlimmer als Liebe ohne Moral. Macht einer Fehler, ist nicht schon alles, was er macht, falsch. Vom Affen zum Schweinehund, und die ganze Evolution für die Katz. Wenn schon meine Frau meine Fehler verzeiht, welches Problem sollte Gott damit haben? Gott kennt die Schuld, aber auch die Verdienste, von denen sogar wir selbst nichts wissen. Wir sind alle Delinquenten, die gern den Richter spielen. Gut gemeint, ist noch nicht gut gemacht. Ausser vor Gott. Alle sollen gefälligst Fahrkarten kaufen, nur wir möchten schwarzfahren durch's Leben. Der Mensch ist das einzige Tier, das bestialisch sein kann und heilig. Jenseits der Doppelmoral: Heilige und Huren. Sünden sind out, Sündenböcke in. Jeder schafft Unvergängliches: nichts lässt sich zurücknehmen. 82

Güte verbreitet Langeweile. Bis man sie braucht. Angst vor Skandal - Geheimnis der 'Moral'. Wo Vergebung ist, ist man nicht angewiesen auf Verdrängung. Wir alle sind Mörder - zumindest Rufmörder. Was richtig ist, wird nicht falsch, weil man nicht schon früher so gehandelt hat, nicht auch woanders oder nicht genug. Überall, wo verziehen wird, kommt ein Stück Welt wieder in Ordnung. Wer die Hand reichen will, muss die Faust öffnen. Immerhin ein Fortschritt: Wachsen auch nicht die humanen Leistungen, so doch die humanen Anforderungen. Religion macht nicht unbedingt besser, aber sensibler. Macht man es gut, ist man an Gottes Seite, ob man will oder nicht. Einst war es Sünde, jetzt hat es Gründe. Dem wir geschadet haben, verzeihen wir nie. 83

Niemand kann, was er soll, aber er soll, was er kann. Guter Charakter? Verdienst! Schlechter Charakter? Veranlagung! Auch ein Schurke macht aus einer guten Sache noch keine Schurkerei. Gesellschaftskritik. Moralpredigt des Intellektuellen. Mach einen zur Minna, und du machst ihn vielleicht zum Mörder. Die Menschen lieben uns, wie sie uns gern hätten. Gott liebt uns, wie wir sind. Auch missbrauchte Ideale bleiben Ideale. Wer nichts tut, tut nichts Schlechtes. Und auch nichts Gutes. Moral ist Rebellion des schwachen Menschen gegen die starke Natur. Schuld wird uns oft erst bewusst, wenn man uns ertappt. Die Tugend der Gelassenheit gedeiht am besten im Laster der Ignoranz. Lüge - Logos des Lasters. 84

Meine Schuld - Schicksal; dein Schicksal - Schuld. Nichts tut so gut wie Gutes tun. Wer von jedermann Bestleistungen fordert, kann auch von jedem Auto verlangen, zweihundert zu fahren. Auch die Moral hat ihre Moden. Grossmutter wurde rot, weil sie sich schämte. Mutter schämte sich, weil sie errötete. Gott, der unsere Grenzen kennt, urteilt gewiss mehr nach gutem Willen als nach guten Taten. Auch wenn die Welt nicht vollkommen sein kann, ist es vollkommen richtig, sie besser zu machen. Utopien sind sehr bequem. Man hat sie immer noch vor sich. Man muss ja nicht alle Menschen gleich lieben, sie gelten lassen wäre auch schon was. Macht der Idealist die Tür auf, knallt der 'Realist' sie wieder zu. Der Realist resigniert beim Ist-Zustand. Der Idealist kämpft um den Soll-Zustand. Wozu Charakter? Man hat doch Image! 85

Es gibt Situationen, in denen jedes Handeln falsch ist und Nichthandeln erst recht. In einer unvollkommenen Welt erreicht man nur ramponierte Ideale. Utopisten und Gesinnungsethiker verwechseln das Maximale mit dem Optimalen. Das Gute, das man nie erreichen kann, ist dennoch das Gute, das man immer anstreben muss. Wer die Welt voranbringen will, verbessert vielleicht nicht die Welt, aber sich. Dein Laster - meine liebenswürdige Schwäche. Warum behandelt man sich so schlecht, dass man zum schlechten Menschen wird? Wer mit Schweinen aufwächst, hat es schwer, Mensch zu werden. Man vergibt sich nichts, wenn man vergibt. Die beste Werbung für das Gute machen die, die es tun. Seid nett zueinander! Oder: Erspart euch die Güte. 86

Je mehr Leute immer Recht haben, desto mehr Unrecht gibt es. Man kann alles, man muss nur wollen! Okay, ich möchte Pavarotti sein. Lebenslauf. Schlingerkurs zwischen guten Vorsätzen und schlechten Ausführungen. Eigene Fehler, die wir akzeptieren, müssen wir nicht auf andere projizieren. Wir würden alle besser leben, wenn wir bessere Menschen wären, aber wer will schon ein besserer Mensch werden, nur, damit wir besser leben? Hat jedes Handeln unabsehbare Folgen, dann jedes Nichthandeln auch. Gute Taten haben nicht immer gute Motive, schlechte Taten nicht immer schlechte. Wer wahrhaft liebt, kann nicht immer die Wahrheit sagen. Die Wahrheit ist: Manche könnten gar nicht überleben, ohne hartnäckig zu lügen. Verurteilen macht stumpfsinnig, verstehen scharfsinnig. 87

Attackiere einen Saustall, man präsentiert dir garantiert ein schwarzes Schaf. Je ehrlicher, desto grösser die Kluft zwischen dem, was man für richtig hält, und dem, was man tut oder lässt. Andere machen es genau so! Entschuldigt miese Ratte den Schweinehund? Macht fremder Mist eigene Scheisse besser? Kommst du mit dir ins Reine, kommen andere nicht mehr mit dir klar. Ein Besuch im Knast wiegt drei Kirchenbesuche auf. Viel seelische Ausgeglichenheit verdanken manche Ehemänner und Kleriker den Damen der käuflichen Lust. Das Ganze gelingt nicht, das Halbe genügt nicht. Wer darunter leidet, ist schon okay. Lieber weltferne Gesinnungsethiker als weltkundige Gesinnungslumpen. Manche Leute meinen, weil sie gute Manieren haben, hätten sie auch eine tadellose Moral. Auch wer nie Böses tat, hat doch immer Gutes unterlassen. 88

Mutter Teresa liebten alle, Indien ist ja auch weit weg. Ich kann alles, wenn ich nur will? Du kannst mich mal. Wir sind alle Betrüger, betrügen zumindest gern uns selbst. Manchmal ist es besser, sich zu verbiegen, als mit aufrechtem Gang zu zerbrechen. Vielleicht braucht man uns noch. Kabarettisten - Moralprediger ohne Kirche. Das Böse, das man lässt, ist noch lange nicht das Gute so billig kommen wir nicht davon. Niemand macht irgendetwas folgenlos, all unser Tun und Lassen ist Wirkungsfaktor im Wechselspiel der Sozialkybernetik. Selbstgerechtes Gehabe? Im Zweifel kleinbürgerlicher Häuslebauer. Leider hat die Menschheit immer moralischen Nachholbedarf, klagt ihn aber auch immer wieder ein, und das ist doch schon was. Besser gesagt als geschwiegen; besser getan, als gesagt! 89

Wer liebt, moralisiert nicht, sondern versteht, vergibt, vergisst. Erfolgsmensch. Menschlich öfter mal Misserfolg. Jeder sein Gott - alle des Teufels. Jeder wäscht die Hände im Blut Unschuldiger. Ob er es weiss oder nicht, will oder nicht. Am Schlimmsten das Böse mit gutem Gewissen: Kreuzzüge für den rechten Glauben, Terrorismus für ideale Ziele, Krieg für's Vaterland. Da der Mensch auf seiner Stufe der Evolution offensichtlich moralisch überfordert ist, kann Gott nur nachsichtig sein. Gott beurteilt die Menschen vermutlich mehr nach ihrem guten Willen als nach ihren guten Taten. Heiligkeit ist so wenig die ganze Religion, wie Rekorde der ganze Sport sind. Man ist Richter, ob man will oder nicht. Wann immer man Menschen ansieht, richtet man schon. Wo man nicht beurteilen kann, darf man auch nicht verurteilen. 90

Fremdbestimmt durch das Böse, befreit durch das Gute. Das Böse ist der Preis der Freiheit. Die Verantwortungsethik verwaltet die Erfolge der Gesinnungsethik. Böser Mitmensch. Immerhin Herausforderung, Sozialkompetenz unter Beweis zu stellen. Oder auch nicht. Moral eigentlich kein Thema mehr, es sei denn als Kampfmoral. Fortschritt. Die Verbrechen grösser, aber auch die Empörung. Die Gesinnungsethik ist ein zweischneidiges Messer, sie macht Heilige und Terroristen. Jeder wäscht seine Hände im Blut Unschuldiger. Wenn nicht direkt, dann indirekt. Humanität funktioniert auch ohne Religion, Religion aber nicht ohne Humanität. Es gibt keine irdische Gerechtigkeit. Deshalb das letzte Gericht. Moral ist universal oder fatal. 91

Gott braucht unsere Moral nicht, wir brauchen sie. Wir sind auf dem Mond nicht besser als auf der Erde, also, was wollen wir da? Es ist nicht illegitim, Besseres zu fordern, auch wenn man selber nicht besser ist. Wer sich nicht annimmt, wie er ist, kränkt den, der ihn schon angenommen hat: Gott. Human ist, wer auch mal 5 gerade sein lassen kann und 6 ungerade. Man lernt nichts und niemanden wirklich kennen ausser durch Wohlwollen. Das Gute ist schon deshalb unausrottbar, weil jeder davon profitieren will. Ordnungsfanatiker zur Ordnung rufen! Selbstgerechte zur Rechenschaft ziehen! Moralisten Moralpredigten halten! Was wir allein geschafft haben, haben wir allein mit Gott geschafft. Lebten die Menschen menschlicher, wäre es tierisch gut zu leben. 92

SCHULDIGE UND UNSCHULDIGE

Gerechtigkeit? Aber ja, Selbstgerechtigkeit! Der Richter im Menschen muss verurteilen, der Mensch im Richter vergeben. Strafvollzug - wo Resozialisierung draufsteht und Sicherheit drin ist. Mitgefühl mit dem Opfer befreit nicht von Einfühlung in den Täter. Hilft es den Opfern, kranke Täter zu kriminalisieren? Verurteilung muss sein, nicht aber Verachtung. Mancher bricht erst das Recht, nachdem ihn das Unrecht gebrochen hat. Ist Unterlassung kriminell, dann niemand krimineller als die meisten. So hätten wir's gern: für die anderen Gottes Gerechtigkeit, für uns Gottes Barmherzigkeit. 93

Ist der Knast ein Kurhaus, warum wollen dann alle raus? Den Kerlen im Knast fehlt doch nichts! Klar, nicht mal 'ne Frau. Was immer gewährt wird hinter Gittern, Freiheit nicht. Du bist kriminell, mich kriminalisiert man. Ginge es nur um Schadensbegrenzung, könnte man ein paar Grossgauner einlochen und sämtliche Kleinkriminelle laufen lassen. Pfiffe für kleinen Ladendieb, Applaus für grossen Steuerflüchtling. 'Unter Hitler gab es solche Kriminalität nicht!' Aber eine andere. Jedes Verbrechen ist möglich, wenn nur genügend Leute mitmachen. Du bist schuldig, ich werde vorverurteilt. Vorverurteilung seltener als Vorfreisprechung. Schwarzes Schaf. Entschuldigt in der eigenen Familie, beschuldigt in allen anderen. 94

Illegal nicht immer illegitim. Im Zweifel geht Mensch vor Gesetz. Jeder ist vor dem Gesetz gleich, vorausgesetzt, er hat einen guten Anwalt. Ich habe den begründeten Verdacht, du ergehst dich in haltlosen Verdächtigungen. Kriminalität - oft nur Kriminalisierung. Strafverlangen für Gotteslästerer? Sollen wir denn alle in den Knast? In der alten Kunst fuhren die Päpste zur Hölle. Von verletzten Gefühlen ist nichts bekannt. Verletzte Gefühle hat der Religiöse immer, aber den Richter im Himmel. Auch Täter sind Opfer - oft ihrer Eltern. Eingeschlagene Fensterscheiben regen mehr auf, als unterschlagene Steuermillionen. Strafvollzug ohne Sozialisierung. Kleinkriminell rein, grosskriminell raus. Steuerflucht - Kavaliersdelikt. Man braucht nur ein bisschen Prominenz. Erbsünde. Erblast, die wir anderen aufbuckeln. 95

Wer das Böse ausrotten will, kann auch das Wetter abbestellen. Manche sind von Natur aus gut; diese Ahnungslosen bescheren der Welt den Terror des Pharisäismus. Die uns schützen wollen, oft beängstigender, als die uns bedrohen. Sollte ich je einen Mörder ermorden wollen, wird man mich hoffentlich daran hindern. Die Reife einer Gesellschaft erkennt man daran, wie human sie sein kann gegen Inhumane. Notlügner der Lüge überführen das bring ich nicht über ihr Herz. Die unentrinnbare Tragik am Grund des Daseins verlangt logischerweise Vergebung. Gesellschaften, die bei Problemkindern sparen, bezahlen es mit grossen Problemen. Die Justiz will, was nicht mal Gott gelang: Abschreckung durch Strafandrohung. Die sich für schuldlos halten, sind allein dadurch schon schuldig. Kommt der idealistische Hase, ist der zynische Igel schon da. 96

Mitgefühl mit Opfern ist doch selbstverständlich. Nicht aber Fairness für Täter. Mitgefühl gratis, Mitmenschlichkeit kostet. Die Objektivität, zu der Trauernde nicht fähig sind, müssen die Richter leisten. Zum gerechten Urteil müsste man bei jedem wissen, was er moralisch leisten kann. Das aber weiss nur Gott. Die Reichweite von Verantwortung kennt nur einer - er da oben. Zu Kriminalität nicht fähig? Dann danke Gott und richte nicht. Den Verbrecher verdammt jeder, nur nicht die Mutter und Gott. Sollten Christen nicht öfter urteilen wie Jesus statt wie Juristen?

97

ARME UND REICHE

Soziale Gerechtigkeit? 'Alles nur Neid!' Jeden nimmt das Leben unter das Messer, aber den Armen ohne Betäubung. Je mehr einer hat, desto mehr beneidet er die, die noch mehr haben. Geld allein macht nicht glücklich. Man braucht auch Immobilien. Habenwollen - besonders in Verruf beim Behaltenwollen. Kaum besitzen wir, schon sind wir besessen. Mietwohnung, Haus, Schloss. Die Anspruchshaltung wächst mit. Wer die Orgel spielt, hat leicht spotten über den, der pfeift auf dem letzten Loch. Luxus. Schlag ins Gesicht aller Armen. Wer kein Glück hat, kann es auch nicht schmieden. 98

Geldmangel verdirbt den Charakter. Millionär ist jemand, der Milliardär werden will. Je höher der Rang, desto höher der Drang. Umverteilung nach oben - es geht wieder aufwärts! Hat man Geld, denkt man nicht dran, hat man keins, denkt man an nichts anderes. Bettler stören weniger das Stadtbild als das Weltbild. Je mehr du verdienst, desto sicherer sind dir Verdienstorden. Die immer haben müssen, müssen auch immer recht haben. Wenn wir endlich genug Geld haben, haben wir noch lange nicht genug Geld. Wer nichts hat, kann wenigstens nichts vorenthalten. Selig die Ahnungslosen! Wer Kaviar nicht kennt, vermisst ihn nicht. Auch Sieger im Rattenrennen sind Ratten. Randgruppen wecken das schlechte Gewissen. Das macht sie verhasst. Wer alles hat, was anderen fehlt, dem fehlt, was andere haben. 99

Millionenerbe: 'Na, wie habe ich das gemacht?' Worauf sich viele viel einbilden, das lag schon als goldenes Ei in der Wiege. Wer es sich nicht verdient hat, verdient ja eigentlich nicht, was er hat. Diebe arbeiten doch wenigstens für ihre Beute. Genommen vom armen Mann: etatnotwendig! Genommen vom reichen Mann: leistungsfeindlich! Asoziale tausendmal öfter oben als unten, und tausendmal teurer. Während der Bankräuber dabei ist, zu stehlen, ist vielleicht der Bankdirektor dabei, zu betrügen. Reiche Leute sehen überall Gesindel, nur nicht in der eigenen Familie. Finanzamt öfter betrogen als das Sozialamt, besonders von Leuten, die es nicht nötig hätten. Der feine Unterschied: Wir mit Kontonummer, sie mit Nummernkonto. So lange es Arme gibt, sind alle Reichen Diebe. Zufrieden mit dem, was er hat: reichster Mensch der Welt. 100

Geld macht glücklich oder auch nicht. Reichtum. Luxusgabe des allgemeinmenschlichen Elends. Auch wer jeden Tag reicher wird, ist am Abend um einen Tag ärmer. Niemand misshandelt sich mehr als der Egoist. Das Leid fühlt sich überall wohl, in Tschernobyl wie in Beverly Hills. Auch goldene Gabeln machen den Braten nicht besser. Du kannst dir hundert Häuser kaufen, aber bekanntlich kein einziges Herz. Der Arme hat Sorgen, der Reiche macht sie sich. Erbmasse - Sollbruchstelle der Sippe. Da hockt der arme Hund auf seinem Haufen Geld. Am reichsten vielleicht der Geistreiche. Wer gut lebt mit gutem Gewissen, der ist ein schlechter Mensch. Das Leben ist zu kurz, um es nur zu geniessen. Wer nichts geben will, ist ärmer dran, als wer nichts bekommt. 101

Solidarität. Verschämte Nächstenliebe. Wer die Welt beglücken will, kann sofort bei seinem Nachbarn anfangen. Alles Soziale ist religiös fundamentiert, alles Religiöse sozial orientiert. Religiös sein kann man reich oder arm. Aber eher arm als reich. Reporterin: 'Das könnte ich nicht für eine Million!' Mutter Teresa: 'Ich auch nicht.' Wer Hilfe anbietet, dem ist schon geholfen. Besser, einem helfen als keinem. Keiner kann alles geben, aber was er geben kann, das schuldet er. Lieber viel Zeit und wenig Geld, als viel Geld und wenig Zeit. Glück hat, wer nicht mehr hat, als er unbedingt braucht. Mitmenschlichkeit? Aber wir haben doch human relations! Askese - Verzicht, der's bringt. 102

Eigentum verpflichtet! Mehr oder weniger zu nichts. Hin und wieder ein Almosen Solidarität als Benefizveranstaltung. Es wird nicht mehr an die Wand gestellt, es wird an die Wand gedrückt. Wir schlagen die Zeit tot und damit auch jene, die uns so lange gebraucht hätten. Wer reich ist, kann es sich aussuchen: Samariter oder Sadist. Lieber Penner, die sich selbst kaputt machen, als Ausgeschlafene, die andere kaputt machen. Ich kenne keinen Menschen, der nicht zu tiefem Mitgefühl fähig wäre. Mit sich selbst. Gar kein Mitleid, Opa? 'Nee, hab im Krieg Schlimmeres erlebt!' Benachteiligte müssen sich nicht schämen, Bevorzugte dürfen sich nicht brüsten. Gemessen an dem, wie andere leben, dürfen wir gar nicht leben, wie wir leben. Fürs liebe Geld machen wir alles, sogar uns fix und fertig. 103

Dritte Welt ist, wo man unsere Sorgen haben möchte. Wer Wohlstand exportiert, exportiert auch Wohlstandsprobleme. Immer ist nur die Hälfte der Erde im Licht. Spekulanten würden staunen, wenn sie wüssten, wie angenehm es ist, selten an Geld zu denken. Ich kann nicht glauben, dass wir nur auf der Welt sind, das Beste für uns herauszuholen und tschüss. Wer viel hat, verlangt auch viel, weil das Viel sich sonst nicht rechnet. Macht nichts, dass wir auf Kosten der Dritten Welt leben, dafür leisten wir im Notfall ja auch humanitäre Hilfe! Wir wollen alles haben und verzichten dafür gern auf nichts. Die Hungernden der Welt beneiden sechs Millionen Hunde unsere. Manchem ginge es besser, ginge es ihm schlechter. 104

Für alle reicht es nicht. Also wollen alle noch mehr. Der stirbt nicht leicht, der ein Vermögen zurücklassen muss. Hat der Reichtum die Armut besiegt, erkennt man die Armut des Reichtums. Arme Nachbarn? Wir spenden schon nach Timbuktu! Müller sprang von der Brücke, obwohl er sich sich hätte erschiessen können. Aber das war ihm zu teuer. Manche verdienen zu viel, um es sich leisten zu können, wenig auszugeben. Je mehr Vermögen, desto weniger Einfühlungsvermögen. Ich bin für nichts so dankbar, wie für das, worauf ich verzichten kann. Manche geniessen den Sonnenstrahl mehr, als andere den ganzen Sommer. Manchen gibt ein Bonsaibäumchen mehr als anderen der ganze Urwald. Manche freut ein Lächeln mehr, als andere das Oktoberfest. 105

Not lehrt treten. Nicht Radikale machen Krisen, Krisen machen Radikale. Lenins machen Revolution, Zaren liefern die Motive. Marx wollte eine Art Paradies auf Erden. Aber nicht für sich, wie seine Kritiker. Der Sozialismus ist tot - es lebe der Egoismus! Wo soziale Experimente unterbleiben, lauern soziale Explosionen. Reaktionär - Komplize der Revolution. Revolutionär - Komplize des Terrorismus. Terrorist - Komplize der Reaktion. Würde man die Opfer des Kapitalismus zur Kenntnis nehmen wie die des Terrorismus, wäre die Zeitung dick wie ein Telefonbuch. Wieviele Opfer des Kapitalismus kommen auf ein Opfer des Terrorismus? Soziales Netz. Damit die da oben sicher sind vor denen da unten. Anspruchshaltung oben, soziale Frage unten. 106

Wer nichts ändern kann, wird leicht Melancholiker, wer nichts ändern will, Zyniker. Hände, die zupacken, sind nicht mehr leer. Wer Hilfe anbietet, dem ist schon geholfen. Nur wer Not wendet, darf mit Gott rechten. Verhalten ändern oder Verhältnisse ändern? Beides ändern. Alles lassen, wie es ist, können wir auch noch auf dem Friedhof. Im Reich Gottes muss niemand mehr arm sein und will niemand mehr reich sein.

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ÖKONOMEN UND ÖKOLOGEN

Krone der Schöpfung? Wohl eher der Gipfel. Sichert die Planetenverwüstung Arbeitsplätze und Renditen, dann packen wir's an wetten, dass? Ich bin sauer! sagt der Wald. Ich bin total vergiftet! sagt der Acker. Ich kippe gleich um! sagt der See. Panikmache, sagt der Mensch. Alles hat gepasst, als man sich nach der Decke streckte, seit man die Decke streckt, reisst sie. Früher starb man für das Land, jetzt stirbt das Land für uns. Wie konntet ihr das zulassen? Die ihre Eltern so fragten, wird man so fragen. 108

Schöne neue Welt. Planet Megamaschine. Restnatur gebührenpflichtig. Himmel Werbeträger. Immer schneller dahin, wo's immer weniger lohnt. Wo kein Weg ist, ist eine Autobahn. An ihren Fichten sollt ihr sie erkennen! Toleranzgrenze heraufgesetzt alles im grünen Bereich! Gülle in Hülle und Fülle! Vergüll's Gott! Regt unsere Agrarchemie euch auf, dann schluckt doch unsere Sedativa! Mutter Natur ist keine Pazifistin. Sie schlägt brutal zurück. Nun kriegt das Arschloch sein Ozonloch. Die über ihre Verhältnisse leben, wundern sich dann über die Rechnung Was Argumente nicht lehren, lehren Katastrophen. Hausgemachte Katastrophen sind die besten! 109

"Umweltspinner!" Und dann die grünen Federn an den eigenen Hut. Erst hat man die Grünen nicht ernst genommen, heute wird man nicht ernst genommen, wenn man nicht grün ist. Wir bewältigen nicht gern, weder Vergangenheit noch Zukunft. Während der Dachstuhl brennt, regen wir uns auf über die tropfende Kerze. Für Schönfärber ist der Realist Schwarzmaler. Versuch und Irrtum? Viel Zeit bleibt uns aber nicht mehr. Treibt eine Gesellschaft ihre Probleme auf die Spitze, sind Aussteiger besser als Mitläufer. Das Paradies auf Erden kann man nicht haben, aber die Hölle, die kriegen wir hin. Richtig heisst es wohl: Macht euch der Erde untertan! Die Erde: Gottes Leihgabe. Macht er nicht nochmal. 110

Lebe positiv! Augen zu, vorwärts und durch! Atomtechnik. Russisches Roulette mit dem GAU. Radioaktivität geht es wie Gott: Was man nicht sieht, glaubt man nicht. Atommüll - da helfen nicht mal Türken. Wenn Selbstmordattentäter ein Atomkraftwerk entern, was dann? Erklärt ihnen dann der Boss die Reaktorsicherheit? Auch Atomeier haben nur eine dünne Schale. Christdemokraten risikofreudiger. Sie kommen ja auch in den Himmel. Ohne Atombunker bist du sofort tot, mit Atombunker etwas später und teurer. Überlebende pflanzen sich fort von Degeneration zu Degeneration. Auch notwendige Übel sind Übel und gehören zumindest abgekürzt. Auch wenn es gutgeht, hatten Optimisten nicht recht, sondern nur Glück. 111

Die Jungen demolieren das Promenadendeck, die Alten steuern das Schiff in den Eisberg. Alles hat sein Gutes. Erwärmt das Klima sich weiter, sparen wir Öl für die Zentralheizung; werden die Küsten vom Meer überflutet, ersparen wir uns die Strandreinigung; reicht das Trinkwasser nicht mehr, trinken wir halt Prosecco. Man sollte in den Himmel schreiben: Verlassen Sie diesen Ort zumindest so, wie Sie ihn angetroffen haben! Für unsere Umwelt tun wir alles - morgen. Lieber 'Gutmenschen' mit Argumenten als Normalos mit Denkblokaden. 'Naturkatastrophen? Was wollen Sie machen? Gegen die Natur kommt man nicht an!' 'Menschheit riskiert Untergang? Was interessiert mich Menschheit? Bin ich ein Gattungsbegriff? Ich bin ich!' Die von Öko nichts halten, halten um so mehr vom Ego. 112

Sollbruchstelle Fundament der Wirtschaft. Über die Wirtschaft informiert am besten die Landschaft. Unsere Landschaft doch egal, Urlaub machen wir sowieso woanders. Wachstum ist das, dem die Natur nicht gewachsen ist. Schwarze Zahlen der Industrie. rote Zahlen der Natur. Klassisches Muster. Hermes, Gott der Geschäftemacher, hofiert Pandora, Göttin allen Unheils. Selbstverpflichtung der Industrie: Sau als Saubermann. Aufsichtsrat. Amigos kontrollieren Spezis. Was man im Norden in sich reinstopft denen im Süden vom Mund gerissen. Es wird so lange erwirtschaftet, bis wir abgewirtschaftet haben. Fortschritt. Mit Vorliebe in Sackgasse. 113

Kommunismus tot! Monetarier aller Länder, bereichert euch! Kommunismus ruiniert das Land, Kapitalismus den Planeten. Neokapitalismus: Wo mit Gewinnen die Armut explodiert. Soziale Fairness können wir nicht brauchen, sie wäre ein Standortnachteil. Sehr geehrter Herr Müller! Zur Profitmaximierung unserer Aktionäre müssen wir leider 10 000 Mitarbeiter entlassen. Wir danken für Ihr Verständnis! Grundgesetz des Wirtschaftsliberalismus: ethisch richtig - ökonomisch falsch. Zieht der Krieg die Uniform aus, kommt zum Vorschein der Konkurrenzkampf. Der Staat denkt, der Multi lenkt. Ist es kommunistisch, Kapitalistenrambos zu hassen, dann sind wir gute Kommunisten. Wirtschaftsverbrechen Kapital-Verbrechen. 114

Arbeitsteilung: Arbeiter legt Hand an, Aktionär hält die Hand auf. Die meisten Arbeitslosen schafft locker der müssige Aktionär. Kleinster Tropfen Profit motiviert grösste Entlassungswelle. Grossaktionäre unter sich: Und wo lassen Sie entlassen? Arbeit oft blöd, blöder ist keine Arbeit, am blödesten null Aussicht auf Arbeit, am allerblödesten ein Arbeitsamt, wo sie immer Arbeit haben für sich selbst. Damit er nicht gefeuert wird, feuert der Manager dich. Auch kleine Angestellte haben Rechte. Dürfen alles sagen, was sie sollen. Schluss mit der Ungleichmacherei! Gehobene Tätigkeiten abwerten! Niedere Arbeit aufwerten! Arbeitsmarkt. Gefragt Funktion. In Kauf genommen Person. 115

Globalisierung? Exportiert immerhin Arbeit und somit auch Entwicklungshilfe, also 'Brot für die Welt'. Globalisierung realisiert, wovon Jahrhunderte träumten: sie zwingt die Menschheit zusammen. Den Opfern der Globalisierung helfen deren positive Aspekte nicht, trotzdem gibt es sie. In Zeiten des Übergangs siegen zuerst die Nachteile, aber es sind nur Etappensiege. Arbeitnehmer hassen Arbeitgeber (die ihnen Arbeit geben), Gewerkschafter (die ihre Löhne steigern), denn Undank ist der Welten Lohn und Logik Luxus. Gewerkschaften - die Arbeitenden nützen und Arbeitslosen schaden. Gewerkschaften - immer noch Tendenz, die Kuh, die sie melken wollen, erst mal zu schlachten. Geht es der Wirtschaft gut, geht es allen gut - denen es gut geht in der Wirtschaft. 116

Homo oeconomicus. Was immer er auch anstellt rettungslos sitzt er fest in seinen selbstgebastelten Sachzwängen. Mehr Wachstum ruiniert die Natur, weniger Wachstum den Wohlstand. Mehr Konsum: ökologische Krise, weniger Konsum: ökonomische Krise. Mehr Schulden ruinieren den Staat, weniger Schulden das Sozialsystem. Mehr Steuern schaden dem Unternehmer, weniger Steuern dem Finanzminister. Mehr Lohn ruiniert die Rendite, weniger Lohn die Kaufkraft. Mehr Beschäftigte ruinieren die Firma, weniger Beschäftigte das Land. Die Lösung aller Lösungen: Länger arbeiten, weniger verdienen, mehr ausgeben! A propos: Mehr Menschen Zustände wie in der Dritten Welt, weniger - Zustände wie hier. Prometheus im Schlamassel. Zeus lacht sich schief. 117

Wachstum, das immer funktioniert: das der Ansprüche und Probleme. Zuverlässigste Marktlücke? Das Kundenarschloch. Verbraucher verbrauchen am liebsten, was man nicht braucht. Neokapitalisten Herren der Ökonomie, na klar, aber auch der Ökologie, na sicher, und der Psychologie, na scheisse. Nach dem Kaufrausch kotzen wir die Brocken auf den Sperrmüll. Unseren Kindern den Konsumhimmel, unseren Enkeln die Umwelthölle. Hoffnung allenfalls ex negativo. Katastrophen bewirken oft Katharsis, manchmal sogar Kehrtwende. Die grösste Chance für alternatives Denken: nicht die Einkehr der Vernunft, sondern die Aussicht auf ein Jahrhundertgeschäft. Sei's drum!

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KONSERVATIVE UND PROGRESSIVE

Fortschritt. Fortschritt an Menschlichkeit oder Rückschritt. Die Rechte hat traditionell das Bewährte für sich, die Linke das Benötigte. Die Überschätzung des Überlebten firmiert gern als Bewahrung des Bewährten. Morgen ist die 'verrückte Jugend von heute', was heute die 'Leute von gestern' sind. Wovon ernährt sich der Tölpel? Vom vorgekauten Fisch aus Elternschnabel. Das gute Alte! Aber das Bessere ist des Guten Feind. Fortschritt intelligenter Regelverstoss. Ausnahmen von heute, Regeln von morgen. 119

Konservative denken gern an früher, aber nicht so gern daran, wogegen sie früher kämpften: Aufklärung Meinungsfreiheit Glaubens- und Gewissensfreiheit Wissenschaftsfreiheit Pressefreiheit Versammlungsfreiheit Demokratie Menschenrechte Recht auf Bildung Recht auf Chancengleichheit Sozialpolitik Gewerkschaftspolitik Grüne Politik Ausländerintegration Wehrdienstverweigerung Abschaffung der Todesstrafe Resozialisierung Kunstfreiheit Impressionismus, Expressionismus, Film, Fernsehen, Jazz und Rock Frauenemanzipation Frauengleichberechtigung Frauenwahlrecht Sexuelle Selbstbestimmung Rechte für Schwule und Lesben Gemeinschaftsschule Gemeinschaftsbad Bikini Undsoweiterundsofort. 120

Konservative meist bloss konventionell. Was üblich ist, ist deshalb nicht schon richtig. Das Regelrechte ist schon recht, so lange die Regeln noch recht sind. Normal war es auch mal, den rechten Arm hochzureissen und Heil Hitler zu brüllen. Es war auch mal selbstverständlich, Indios auszurotten und Kolonien auszubeuten. Nostalgiker fasst jede Gelegenheit beim Zopf. Traditionelle mit Vorliebe welke Blumen giessend. Traditionspfleger duftend nach Mottenkugeln. Achtung! Alte Konserven! Explosionsgefahr! Wer das Tempo nicht halten kann, verdächtigt die Richtung. Lieber neue Saat riskieren, als ewig Unkraut jäten. 121

Konservative berufen sich auf den gesunden Mensschenverstand so einfach wie einfältig. Der gesunde Menschenverstand ist der einzige, der nicht denken muss, weil er alles schon weiss. Gesunder Menschenverstand. Kompaktausgabe der jeweiligen Vorurteile. Der gesunde Menschenverstand kennt Kants kategorischen Imperativ, die Kritik der Vernunft kennt er nicht. Reaktion. Permanenter Störfall der sozialen Evolution. Leben ist Prozess, daher am lebendigsten der Progressive. Reform und Revolution wie Medikament und Operation; beides kann irgendwann nötig sein und irgendwann tödlich. Ist der Reformer erfolgreich, stellt ihm der Revolutionär ein Bein und spielt den nützlichen Idioten der feixenden Reaktion. Auch Konservative sofort Hazardeure, wenn Innovation Profit verspricht. 122

Sinnlos, sich an Leichen zu klammern, sie müssen doch auf den Friedhof. Gegen das Neue ist man, bis es alt ist. Konservative haben schon immer profitiert vom Kampf der Progressiven, aber je dafür gedankt? Fehlanzeige. Leicht stolpert, wer vorangeht. Aber man freue sich nicht zu früh. Löst das Neue das Alte ab, sieht man anfangs nur Ruinen. Nicht Neues um jeden Preis! Aber immer das Bessere. Also doch Neues.

123

NATIONALE UND GLOBALE

Nationalität? Ich habe keine Nationalität, ich bin nur sympathisch. In mir lebt ein Rheinländer, Deutscher, Europäer und Weltbürger. Friede, Freude, Eierkuchen! Unterschiede der Nationalitäten: nichts gegen ihre humanen Gemeinsamkeiten. Der Nationalist sieht im Fremden das Andere, der Kosmopolit das Eigene. Alle Menschen lieben die gleiche Musik. So verschieden können sie also nicht sein. Wir wollen nicht stolz sein auf unser Land. Das Land soll stolz sein auf uns. Früher oder später verfeindete Völker versöhnt. Ja aber, da fragt man sich doch: Warum verdammt nochmal nicht gleich so? 124

Deutsche: Religion von Juden, Kultur von Griechen, Staat von Römern. Stolz von Germanen. Auch wir sind bloss Ausländer: germanische Einwanderer in keltischem Land. Schwer, Leute zu lieben, die nur ihre Landsleute lieben. Niemals sich fremder, als wenn man hasst. Patriotismus und Nationalismus keineswegs immer feindliche Brüder, sondern meist dicke Freunde. Zwerge mit Scheuklappen, aber unverdrossener Grossmannssucht: Nationalisten, Chauvinisten, Ethnozentristen, und gewisse Lokalpatrioten sowieso. Nationalstolz braucht nicht Beethoven. Torschütze genügt. Ich schätze an Deutschen besonders, was ich an Ausländern schätze. Ich verachte an Deutschland noch mehr, was ich am Ausland verachte. Unser Goethe! Unser Beethoven! Nur unser Hitler nicht. 125

Worauf ich als Patriot stolz bin: Deutsche Sprache Deutsche Landschaft Deutsches Volkslied Deutscher Dialektreichtum Deutsche Küchenvielfalt Deutsche historische Kleinstadt Deutsche Kunst Deutsche Klassik Deutsche Stadttheater Deutsche Stadtbüchereien Deutsche Literaturhäuser Deutsche Orchesterwelt Deutsche Chorkultur Deutsche Selbstkritik Deutsche 'Vergangenheitsbewältigung' Deutsche Technikgeschichte Deutsche Ökologiebewegung Deutsches Krankenversorgung Deutsche Sozialversicherung Deutsches kommerzfreies Fernsehen Deutsche Pressevielfalt Deutsche Kleinkunstbühnen Deutsches Kabarett Deutsche Kirchenökumene Deutsche 'Kirche von unten' Deutsche Bürgerinitiativen Deutsche Rekordspenden Deutscher Breitensport Deutsche Autobahnen (!) Deutsche Nationalhymne (dritte Strophe) 126

Ein christliches Abendland wäre nicht nationalistisch geworden. Je nationaler, desto irrationaler. Nationalismus kostet Millionen das Leben, und wofür? Für nichts und wieder nichts. Nationalheroen öfter mal Nationalkriminelle. Am Nationalismus stört weniger der blinde Fremdenhass als die blinde Eigenliebe. Es gibt keinen Zusammenprall der Kulturen, aber der Fundamentalismen. Globalisierung fragt erst gar nicht, sie quirlt uns einfach zusammen, danke. Die Unterschiede der Völker machen sie erst interessant füreinander gerade so wie ihre Küchen. Es gibt Stadtteile, die ich nie betrete, ob nun eine Parallelkultur dort ist oder nicht. Habt euch nicht so. Auch in unserer Sprache wird doch meist nur gelabert, was in keiner lohnt. 127

Ausländer mögen wir nicht auf unseren Strassen, es sei denn, sie machen sie sauber. Die von Integration reden, meinen meist aber Assimilation: Gleichmacherei statt Miteinander. Lieber fordern wir Integration von anderen als Toleranz von uns. Tolerant zu jedem, der sich anpasst, nicht aber zu dem, der sich treu bleibt. Also überhaupt nicht tolerant. Integration oder Assimilation? Lieber Obstsalat als Kompott. Die Würde des Menschen ist unanpassbar. Das Beste am Fussball: er führt ein weiteres mal vor: ohne Multikulti läuft nichts mehr. Kennen Sie den? 'Schiri, dieser Nigger hat unseren Schwarzen gefoult!' Einwanderer für mich kein Thema, es sei denn, sie werden angegriffen. Probleme mit Fremden Probleme mit sich selbst. 128

Lieber eine rassige Schwarze als eine rassistische Weisse. Lieber ein afrikanischer Krauskopf als eine deutschnationale Glatze. An Fremde im Land sollte man sich besser gewöhnen, sie sind so unvermeidlich wie die Geschichte. Exotische Promenadenmischung. Normalmensch der Zukunft. Gott spielt auf weissen Tasten genau so gut oder schlecht wie auf schwarzen. Die schönsten Argumente für Multikulti: Mischlingskinder. Dem deutschen Bleichgesicht kann südländisches Kolorit nur guttun. Gerade dem bierdeutschen Charakter schadet am wenigsten Überfremdung. Keine Sorge die Kopftücher verschwinden schneller als die Lederhosen. Gott, Natur, Geschichte realisieren die eine Menschheit, ob es uns passt oder nicht. 129

Tausche gut intakten Nazi, unbelehrbaren Neonazi, plus gewöhnlichen Kryptonazi gegen hundert Ausländer, wurscht, woher. Ausländerintegration natürlich schwierig in einem Land, in dem schon die 'Ossis' und 'Wessis' kaum zusammenfinden. Mal nebenbei gefragt: Wo leben wohl die schöneren Menschen? Armes Deutschland. Alle Menschen sollen gleich sein! Aber es muss ja nicht gleich sein. Wenn dann Europa türkischer und die Türkei europäischer sein wird, werden unsere Konservativen fordern, dass es gefälligst so bleibt. Globalisierung. Immer mehr unterscheiden sich Vaterländer wie Erdäpfel von Kartoffeln. US-Amerikaner: multikulturell zersplittert, aber wenn's drauf ankommt, patriotisch vereint! 130

21. Jahrhundert. Parallelgesellschaften als Vorstufe zur globalen Einheit in Verschiedenheit. Widerstand zwecklos. Manhattan, Harlem, Chinatown, El Barrio, Little Italy, Little Korea, Little Ukraine man hat es nicht leicht miteinander, aber man lebt und lässt leben: New York, New York! Parallel, aneinandervorbei und nicht integriert: Adlige und Bürgerliche, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Gebildete und Ungebildete, Künstler und Banausen, Begüterte und Arme, Alte und Junge. Na und? Christdemokraten mögen tausend Argumente haben für ihre Vorbehalte gegen Multikulti auf ihren Namenspatron berufen können sie sich nicht!

131

NAZIS UND NEONAZIS

Nationalsozialisten hat es niemals gegeben. Frag, wen du willst. Die Deutschen im Parkett, und Hitler spielte Deutsches Reich. Vor dem Krieg in die Partei eingetreten, nach dem Krieg eingetreten worden. Vorher: 'Ein Volk ein Reich, ein Führer!' Nachher: Aufrechnen, Verdrängen, Verharmlosen. All die Parteiabzeichen, wo sind sie geblieben? Vielleicht in bester Erinnerung. Man war immer gegen Hitler, aber gegen das Attentat auf Hitler auch. Hitler hätte im Falle eines Sieges Millionen Pöstchen zu vergeben gehabt. Keins wäre heute unbesetzt. Fast alle tot, denen man es hätte sagen müssen, und nun fast alle zu jung, um zuzuhören. 132

'200 Kriege nach Hitler!' Späteres rechtfertigt Früheres? 'Nur Vaterland verteidigt!' Zum Beispiel gegen Neutrale. 'Nur Stalin zuvorgekommen!' Folge als Ursache. 'Nur unsere Pflicht getan!' Mit mehr Eifer als nötig. 'Vom Nordkap bis Afrika unsere Knochen hingehalten!' Und was hatten sie da zu suchen? 'Befehl ist Befehl!' Und oft sehr willkommen. 'Immer anständig geblieben!' Für unanständige Zwecke. 'Aber die Bomben auf Zivilisten!' Ihre oder unsere? 'Und die Vertriebenen?' Keine Vertriebene ohne Überfallene. 'Aus der Zeit heraus verstehen!' Und schon Generalabsolution. 'Unrecht auch bei den anderen!' Dann bei uns ja alles gut. 133

'Nürnberg. Prozess der Sieger!' Und der Toten. 'Siegerjustiz!' Im Namen von Millionen Opfern. 'Rechtswidrige Anklage!' Ja, hätte man sie laufen lassen sollen? 'Nachgeschobenes Recht!' Also lassen wir alles ungesühnt? NS-Angeklagte erinnerten sich an nichts, nur an ihre Pensionsansprüche. Alte Kameraden verhandlungsunfähig, ausser bei Geschäftsverhandlungen. Vorher für Dezimierung, nachher für Differenzierung. Immer erwartet man Verständnis, gerade das, was man selbst nicht hat. Täter sich keiner Schuld bewusst? Dann war ja alles bestens. Meist noch mal davongekommen mit einem braunen Auge. Braune Logik: Dreckfeger? Nestbeschmutzer! 134

Deutsche Karrieren. Von Generalstab zu Chefetage. Von Gaskammer zu Ärztekammer. Von NSDAP zu CDU. Parteigenosse Bundeskanzler! Spitze des Scheissberges. Nicht jeder kann ein Held sein, muss er deswegen aber ein Karrierist sein? Hätte Gott die öffentlichen Gebete frömmster Bischöfe für Hitler erhört Eurasien wäre heute KZ-Diktatur. Wieder mal unfehlbar: Pius XII. exkommuniziert sämtliche Kommunisten aber von den Nazis nicht mal Hitler. Gutes Gewissen? Dann schlechtes Gedächtnis. Oder interessegeleitete Intelligenz. Bundestag annuliert Urteile des NS-Volksgerichtshofes! Schon nach 40 Jahren. Entschädigung für Zwangsarbeiter! Schon nach 55 Jahren. Rehabilitierung der Wehrmachtdeserteure! Schon nach 60 Jahren. 135

Ex-NS-Richter. Gnadenlose begnadigen sich selbst. Das Unrecht ihres Tuns konnten sie nicht erkennen! Waren ja bloss Juristen. Man kann das Schuldgefühl übertreiben, aber auch die Selbstabsolution. Es gibt keine Kollektivschuld, aber auch keine Kollektivunschuld. Auch wer nicht direkt schuldig ist, muss nicht ganz unschuldig sein. Wer hat seine Vergangenheit so bewältigt wie wir Deutsche! Und wer eine Vergangenheit wie wir. Alte Angeklagte erfahren mehr Mitgefühl als alte Opfer. Naziverfolgte ohne Rente können jederzeit Nazis mit Pension um Almosen bitten! Verdienstkreuz für Sklaventreiber. Trinkgeld für Sklaven. SS-Witwen erhalten Pension. Opferwitwen warten immer noch. Und sei es im Grab. 136

Geht es nach Wunsch, gestalten wir die Geschichte, geht es schief, erleiden wir sie. "Siegheil, Siegheil, Siegheil!" Unschuldig, unschuldig, unschuldig. Man konnte es nicht ahnen! Bloss haben Tausende es vorausgesagt. Draussen Emigranten, drinnen Ignoranten. Wohlig geräkelt im Chauvi-Schaumbad und nicht gerochen, dass es Jauche war. Nicht alles war schlecht, man denke nur an die Autobahn! (Und die tollen Pferde von Dschingis Khan.) Teufel hofiert und prompt in Teufels Küche. 'Schreckliche Zeit damals!' Und schon ist man selbst das Opfer. Ist Hitler der Sündenbock, dann natürlich alle anderen entlastet. Oberammergauer Apostel. Alle in der NS-Partei - ausser Judas. Austriaken immer fein raus: sie machen Beethoven zum Österreicher und Hitler zum Deutschen. 137

Wiedervereinigung. Machen Bürger mal selbst Politik, serviert man ihnen prompt einen 'Kanzler der Einheit'. Die meisten Ossis haben die Wiedervereinigung genau so wenig bewirkt wie die Wessis und ihr aufgeblasener Kanzler, der sich dafür feiert. Politiker ist manchmal jemand, der auf den fahrenden Zug der Geschichte aufspringt und uns glauben macht, er sei der Lokführer. Die Bürgerrechtler, die die Wende herbeiführten, hat man nicht wirklich gefeiert, schuldig gewordene Genossen nicht wirklich gestraft. Und wieder können Opfer der Dikatatur die Funktionäre des alten Regimes um deren Pensionen beneiden. Dank erntet der Geber nie, weder für Lastenausgleich damals, noch für Transfer heute. Vereint - und jetzt? Deutschland jammert über alles, über alles in der Welt! 138

Die Wiedervereinigung hat die Deutschen daran erinnert, dass Kriege kosten. Vertriebene und Ostdeutsche haben den höheren Preis bezahlt, nicht aber bezahlt für nichts. Glaubt denn wirklich jemand, die Landsleute im Osten hätten nach dem Krieg mit US-Dollars nicht dasselbe erreicht? Von Amerikanern subventionierte Wessis brauchen sich gar nicht so erhaben zu fühlen über von Russen expropriierte Ossis. Nachmalige Ostblockländer überfallen. Ihnen vierzig Jahre Kommunismus eingebrockt. Selbst das Wirtschaftswunder genossen. Keine blühenden Landschaften im Osten, wohl aber welkende Landschaften im Westen. Ausgleichende Gerechtigkeit. Wessis, Ossis, wie auch immer verschieden, kommen doch aus derselben Familie, man merkt es jeden Tag. Das Dumme ist nur, dass nichtbeteiligte Generationen für die Pannen ihrer Ahnen mitbezahlen müssen. 139

Glatze. Nichts drauf, nichts drunter. Vergangenheitsbewältigung von rechts: Widerständler in den Dreck, Täter auf den Sockel. " Was für ein Witz? Auschwitz? Hahaha!" Wir haben sie wieder. Alte Kameraden lecken noch ihre Wunden, während neue Opfer schon wieder bluten. Jude oder Asylant, wieder wird verbrannt. Warum gönnen wir unseren Neonazis nicht mal ein bisschen Nationalsozialismus? Zum Beispiel Arbeitslager? TV-Vergangenheitsbewältigung. Täter und Mitschuldige: 'Zeitzeugen' rechthaberisch, selbstgerecht, wehleidig. Radikalismus - Amoklauf der Einäugigen. Das Einzige, was manche Leute lieben, ist ihr Hass. Wer einen Untermenschen sieht, blickt wohl gerade in den Spiegel. Scheisse ignoriert und schon reingetreten. 140

Hier herrscht Ordnung! Anstatt zu dienen. Law-and-order: Stört das Laub, fällt der Baum. Jede Ordnung riecht nach Beton. Ein Schritt zu weit in die Ordnung erster Schritt ins Chaos. Die immer alles sauber haben wollen, sind auch zu haben für Säuberungen. Fanatiker für Recht und Ordnung. Wovor haben sie mehr Angst? Vor Chaos oder Freiheit? Oder sich selbst?

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MILITARISTEN UND PAZIFISTEN

Nationalhymne. Spiel mir das Lied vom Tod. Nationales Interesse. Sollbruchstelle des Friedens. Bruderkrieg - gibt es auch andere? Der dem Regenwurm ausweicht, ist derselbe, der die Rakete abfeuert. Je ferner das Ziel, desto leichter der Schuss. Der Krieg kommt mit Überschallgeschwindigkeit und schleppt sich fort auf Krücken. In den meisten Kriegen geht es um Siege, die niemand braucht. Da nach Krieg sowieso wieder Friede ist, könnte man auch dabei bleiben. Heldenfriedhof. 6000 Kreuze im Parademarsch! 'Teures Vaterland!' Genau, nichts teurer. 142

Soldaten müssen sein? Was sein muss, muss noch lange nichts Glorioses sein. Auch ein Beruf auf Leben und Tod ist nicht jenseits von Gut und Böse. Kein normaler Mensch brüstet sich seiner Verdienste, nur unsere Militärs stolzieren herum mit Orden auf der Brust. Lametta und Tschingdarassassa kaschieren nur schlecht das Fragwürdige staatlicher Dienstleistung für professionelles Töten. Mangel an Phantasie. Hauptursache der Kommissidiotie. 'Erst als mein Kamerad neben mir verblutete, hab ich kapiert, was Krieg ist!' Wie kann man einen Treueid auf die Fahne leisten, ohne zu wissen, wohin sie voranflattert? Welches Vertrauen verdient der Krieg, nachdem sich so oft herausstellte: es war auch friedlich zu haben oder nicht nötig. Gott mit uns? Ganz und gar von Gott verlassen! 143

Krieger! Denk mal! So lange noch Zeit ist. Jubel, wenn der Feind gefallen, Jammer, wenn der Freund. Stolz auf den dekorierten Sohn, Trauer um gefallenen Sohn. Unseren toten Helden! Ihren nicht? Und Ihr habt doch gesiegt! Ach, nee. Heldengedenktag! Berufsveteranen hissen die Schnapsfahne. Volkstrauertag. Trauer über den privaten Verlust, nicht die nationale Verirrung. Vorschlag zur Güte: Erst Kränze, dann Kriege! Was vom Krieg zu halten ist, frag nicht Generäle, frag Gefallene. Im Mutterland lebt man, für's Vaterland stirbt man. Lieber ein fauler Friede als ein frischer Krieg. 144

Wer für den Frieden ist, muss deshalb nicht Radikalpazifist sein. Pazifisten sind bekanntlich Schafe, die den Wolf für einen Vegetarier halten. Angriffskriege disqualifizieren nicht Verteidigungskriege und Befreiuungskriege. Privatangelegenheit, auf Selbstverteidigung zu verzichten, nicht aber auf die Verteidigung anderer. Manchmal muss man Schlimmes tun, um das noch viel Schlimmere zu verhüten, muss man handeln, wie man nicht handeln darf, kann man nicht heilen, ohne zu verletzen. ist das Verbotene das Gebotene. In einer Welt voller Übel gibt es nur die Wahl des kleineren Übels. Was immer man macht, man macht auch was falsch. Wer nichts weiss von struktureller Tragik, urteilt prinzipiell falsch. Selbst Jesus verlangte vom Hauptmann nicht den Austritt aus der Armee. Jesus - unnachsichtig gegen Krieg, nachsichtig gegen Soldaten. 145

Idealpolitik kennt man nur in Akademien, alternativen WG's und am Stammtisch. Reine Idealisten sind Leuchttürme, wir aber sind noch auf stürmischer See. Gesinnungsethiker erinnern Verantwortungsethiker ans Ideale; Verantwortungsethiker erinnern Gesinnungsethiker ans Reale. Wer notfalls zur Waffe greift, kommt moralisch nicht unbeschädigt davon, wer grundsätzlich nie zur Waffe greift, kommt auch nicht davon. Nur friedlich funktioniert genau so wenig, wie nur kriegerisch. Gute Gesinnung - noch keine gute Politik. Man muss Kriege verhindern, so gut es geht. nicht aber so gut, wie es nicht geht. Buschfeuer lassen sich oft nur löschen durch Kontrafeuer. Auch Friedenstauben müssen scheissen. Es gibt keine Lösungen. Es gibt nur Notlösungen. Oder Endlösungen. 146

'Heiliger Krieg'. Wie guter Teufel. Religionsführer, die Hass predigen, predigen Hass gegen die Religion. Kamikazeterroristen kommen nicht ins Paradies, sondern in die Hölle. Terrorismus. Noch beunruhigender als die Taten sind die Motive. Niemand hat das Recht, schlimme Folgen zu beklagen, der nicht schlimme Ursachen beklagt, noch dazu, wenn er sie mitverschuldet hat. Das Schlimmste brockt uns ein, wer immer überzeugt ist, das Beste zu wollen. Versöhnung. Vornehmster Weg zum Frieden. Also seltenster. Am besten helfen zum Frieden nicht Tauben oder Falken, sondern Schlangen.

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DEUTSCHE UND JUDEN

Sind Juden die Bösen, dann sind Nichtjuden die Guten! Sigmund lässt grüssen. Judenhass: Primärtumor Hass auf Asylanten, Farbige, Obdachlose: Metastasen. 'Protokolle der Weisen von Zion.' Nichts stimmt, ausser Seitenzahlen und Verkaufserlös. Das Judentum regiert die Welt? Warum bombardierte es dann nicht die Bahnlinien nach Auschwitz? Antisemitismus. im Falschspiel gehässiger Projektionen und vagabundierender Aggressionen der Joker. 'Hätte es die Juden nicht gegeben, hätte es auch kein Auschwitz gegeben!' Alles Jüdische erinnert daran. Und das verzeiht man nicht. 148

Auschwitz, Auschwitz! Lenkt angenehm ab von Maidanek, Sobibor, Belzec, Treblinka Holocaust, Shoah, Genozid. Das praktische Vernebelungsvokabular vor Massenraubmord. Totalausrottung, am Konferenztisch koordiniert, von 'Reichssicherheitshauptamt' administriert, mit industrieller Logistik exekutiert, und doch nicht singulär? Jahrelange, systematische, bürokratische, akribische, perfekte, alltäglich beiläufige Mitmenschen-Eliminierung wo und wann hat es das gegeben? Genozid, deutsch: Gezählt, nummeriert, registriert, Menschen, Schmuck, Schuhe, Haare, Goldzähne, Stempel, Datum, Unterschrift, ad acta! Der Unterschied. Im GULAG nahm man den Tod in Kauf, im KZ war er das Ziel. Hunderte Mörder haben wir hinter Gitter gebracht, aber mit den Holocaustmördern Kaffe getrunken. 149

Täter, angeblich gezwungen, hätten sich risikolos weigern können. Wenn sie aber doch blieben, warum dann wohl? Nazispezialität: Abwesenheit der Primärtugenden Klugheit, Gerechtigkeit und Liebe. Menschenvernichtung dank deutscher Sekundärtugend: Deutsche Ordnung bei Registrierung. Deutsche Gründlichkeit bei Enteignung. Deutsche Pünktlichkeit bei Abtransport. Deutsche Sparsamkeit bei Gas statt Kugel. Deutsche Sauberkeit bei Verfeuerung. Deutsche Ehrlichkeit bei Zahngold. Und natürlich deutsche Treue: SS-Kameradschaft bis heute. Nicht zu vergessen: Deutsche Korrektheit bei Transport-Tarif: 4 Pfg pro Km, Kinder die Hälfte, Babys gratis. 'Melde gehorsamst, Reichsführer, Europäisches Judentum - weggearbeitet!' Deutsche Wertarbeit. Deutschen Schäferhunden hätten sie es nicht angetan. Als es vorbei war, doch nicht vorbei. Schande ist nie vorbei. 150

'Die meisten waren unbeteiligt!' Genau. Viele stört am Holocaust nur, dass davon geredet wird. So oft, wie man daran denken müsste, kann man gar nicht daran denken. Last der Vergangenheit. Nur der moralische Schwächling will sie nicht tragen. Hätte man wirklich Anteil genommen, wäre man nicht so empfindlich gegenüber denen, die sich und uns noch erinnern. Wer es einmal wirklich an sich rankommen liess, den lässt es niemals mehr los. Wer es wirklich verstanden hat, ist unfähig, seine Seelenruhe einzuklagen. Wem das alles zu viel wird, hat entweder kein Herz oder keinen Verstand. Das sind wir den Opfern schuldig: So lange verdrängt wird, erinnern wir. Man lebt nicht so lange, wie man erschüttert sein müsste. Nur Hunde schütteln alles ab. 151

Bewältigen so unmöglich wie verharmlosen beliebt. Nicht sechs, sondern drei Millionen? Dann war ja alles halb so schlimm. Der Anstreicher ging, die Schönfärber blieben. Vergangenheitsbewältigung? Vergangenheitsbeschönigung öfter. Zum Verdrängen gehört Kraft. Es wimmelt von Athleten. Fähigkeit zu leugnen, Kehrseite der Unfähigkeit zu trauern. Verdränger - Komplize des Täters. 'Schuld auch bei den anderen!' Fremde Schuld tilgt eigene Schuld? Bombenkrieg löscht Angriffskrieg aus? Vertreibung macht Eroberung gut? Stalin macht Hitler besser? Gulag annuliert KZ? 'Andere Völker nicht so selbstkritisch!' Vielleicht auch weniger Grund dazu. Klagen nur wir uns an, sind wir doch immerhin darin 'über alles in der Welt'! 152

'Schluss mit der Judensache!' Letzte Variante der Endlösung. 6 Millionen von uns ermordet würden wir einen Schlussstrich ziehen? Millionen Ermordete kein Thema mehr? Dann Millionen Vertriebene auch nicht. Solange noch ein einziger Überlebender lebt, Schluss-Strich sowieso vergeblich. Ist Überlebenden nicht möglich zu vergessen, dann Zeitzeugen nicht erlaubt. 'Aber wir haben wiedergutgemacht!' Tote lebendig? Adenauers Wiedergutmachung: klammheimlich hinter unserem Rücken. Er kannte uns. 'Lasst uns lieber an das Positive denken!' Auch eine Art von Selektion. Normalo-Vergangenheitsbewältigung: Beschämendes unter den Teppich, Verdienste an den Hut. Manche meiden den ehrlichen Blick in den Spiegel wie der Teufel das Weihwasser. Man nennt sie Spiesser. 153

Lieber 'Sühnedeutscher' als Sahnedeutscher. Lieber Sack und Asche als Bomberjacke und Springerstiefel. Und müsste ich täglich einen Kranz niederlegen, ich würde mich schämen, wäre es mir lästig. Ewig stolz wegen eines Fussballtors, aber nicht länger beschämt, wegen Völkermord? Vergeben könnten allein die Opfer. Und die sind tot. Ihre Ermordeten sollen sie vergessen, unseren Toten bewahren wir 'Ewiges Gedenken'. Sollen Juden so vergeben und vergessen wie Heimatvertriebene vergeben und vergessen? 2000 Jahre haben wir ihnen Golgota vorgehalten, so mögen sie sich Zeit lassen mit Auschwitz. Fragt der Wolf die überlebenden Schafe, warum sie so nachtragend sind? Wir die Juden schon. Schnee von gestern? Kinder und Kindeskinder ungeboren, man hört weder ihr Lachen noch Weinen so geht die Vernichtung weiter bis ans Ende der Tage. 154

Synagogenbrände. Für Christen kein vorrangiges Thema. Sie gingen ja in die Kirche. Kirchenwiderstand gegen NS-Judenpolitik? Widerstand gegen NS-Kirchenpolitik! Papst schwieg, um Schlimmeres zu verhüten? Welches Schlimmere? Braune willkommene Kreuzritter gegen die Roten! Da nimmt man das mit den Juden in Kauf. Glockenläuten nicht wegen der Leiden der Opfer, sondern der Siege der Täter. 'Strafgericht Gottes an Mördern seines Sohnes!' Super-GAU christlicher Theologie. Christliche Nächstenliebe, oh ja! Verhalf den Mördern zur Flucht ins Ausland. "Deutsche Bischöfe, nur ein einziges Mal bei Hitler zum Protest gegen das Lager Dachau und es gäbe kein Lager Auschwitz." Konrad Adenauer. Aussenseiter retteten die Ehre der Kirche. Nun spricht man sie heilig. Und nicht mal alle. 155

Geheimhaltung. Das zynische Kalkül. Sechsmillionenmal erfolgreich: Ein Verbrechen, das niemand für möglich hält, tarnt sich selbst! Auch wer nichts wusste von Selektion, Gas und Krematorien, wusste doch von Kristallnacht, Judenstern, Berufsverbot, Synagogenbrand, Enteignung, Deportation, Lager, Zwangsarbeit. Und das ist nichts? Auch wenn es nur einige von uns gemacht haben, waren es doch einige von uns und nicht von anderen. Es gibt keine Kollektiv-Schuld, aber auch keine Kollektiv-Unschuld. Nicht bei 'Primitiven', sondern in einem ziviliserten Volk mit herausragender kultureller Tradition, humanistischer und christlicher Bildung plötzlich die niedrigste Barbarei das ist die Singularität. Die Nachgeborenen müssen sich nicht betroffen fühlen! Aber die Besten unter ihnen sind es trotzdem! 156

Wozu brauchen Antisemiten Juden? Sie haben doch Israelis! Aktuelle Selektion: Palästinenser gut, Israelis schlecht! Wer von Tragik nichts versteht, versteht vom Israel-Palästina-Konflikt sowieso nichts. Im Rettungsboot ist man nicht sanft zu denen, die es kippen wollen. Israelkritik jedem erlaubt. Aber nicht jedem auf gleiche Weise. Wäre ich antisemitisch, müsste ich gegen alle Semiten sein, also auch gegen Palästinenser. Ich denke nicht dran!

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BÜRGER UND POLITIKER

Wer zum Gipfel strebt, muss mit Sturm rechnen. Kritik nützlich dem Staat, Kritiklosigkeit schädlich dem Bürger. Die Fehler der Unteren betreffen nur sie, die der Oberen alle. Die Böcke, die sie schiessen, sind wir. Nur in der Politik dürfen auch Dilettanten die erste Geige spielen. Politik ist ein chronisches Leiden, das in regelmässigen Schüben verläuft. Man nennt sie Legislaturperioden. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus! Beziehungsweise der Lobby. Abgeordnete. Verantwortlich nur ihrem gewissen Fraktionszwang. Sie mit der Würde, wir mit der Bürde. 158

Parlament. Oft nur gehobener Stammtisch. Bundestag? Wohl eher Beamtentag. Fraktion: Claque der Clique. Fraktionszwang. Gekonnt hätten sie schon, aber wollen haben sie nicht gedurft. Untersuchungsausschuss. Wo man Tarnfarbe bekennt. Ministerpension. Vaterland hat sich um ihn verdient gemacht. Polit-Talk. Intelligenz als Hure des Interesses. Sonntagsreden. Und dann auch noch Wochentags! Politiker. Leute, die uns die öffentliche Hand in die Tasche stecken. Wahlkampf. Sollbruchstelle seriöser Politik. C-Parteien. Alle anderen also unchristlich. Danke, sehr liebenswürdig. 159

Wahlspot. Elektronischer Hausfriedensbruch. Vor lauter Wählern sehen sie das Volk nicht mehr. Schicksalhafte Wahl! Können wir endlich mal Schicksal spielen. Qual der Wahl. Zwischen linkem Schwinger und rechtem Haken. Neulich soll ein Politiker gewählt worden sein, weil man seinen Kopf auf Wahlplakaten sah. Nichts gegen Wahlplakate! Wo sonst können Politiker sich öfter bewundern? C-Parteien! Nicht so zaghaft! Jesus auf's Plakat! Das einzige, wozu Wahlplakate beitragen, ist das Abholzen der Wälder. Jeder Bürger hat eine Wahlstimme! Und mancher Bürger hat eine Wahlspende. Wahl gewonnen - Wähler politisch reif! Wahl verloren - Wähler unreif. Neue Köpfe, alte Zöpfe! Der Wähler geht so lange zur Urne, bis er bricht. 160

Politdebatte. Bürger wollen hören, welche Lösungen sie haben, Parteifreunde, wie sie sich schlagen. Fragt man nach A, reden sie von B, fragt man nach B, reden sie von C bis Z. Wollen sie gestellte Fragen nicht beantworten, beantworten sie einfach nicht gestellte Fragen. Gezwungen zum Meinungswechsel, wechselt man lieber das Thema. Noch ein Grundgesetz: Politische Freunde haben immer recht, politische Feinde immer unrecht. Kenne ich eine deiner Ansichten, kenne ich alle! Meine Argumente - deine Polemik. Meine Fakten - dein Horrorgemälde. Meine Aktion - dein blinder Aktionismus. Mein Engagement - dein Karrierismus. Politiker ohne Feindbild? Um Gottes willen! Wären ja polemisch arbeitslos! Kennen Sie das Programm der Opposition? Nein? Nein! Warum sachlich bleiben, wenn's auch parteiisch geht? 161

Was treibt man? Unzucht, Unfug, Politik. Die meisten Politiker wollen in die Geschichtsbücher, schaffen es aber nur in ihre Memorien. Politiker sind Künstler - Feindbildhauer. Regierungskunst ist gern so, wie wenn 20 Köche einen Truthahn zubereiten und ein Hamburger dabei herauskommt. Machen unsere Politiker mal was richtig gut, kann man sicher sein, dass sie es richtig schlecht verkaufen. Als Parteien sich noch unterschieden, mussten sie sich nicht ständig profilieren. Endlich mehr Frauen in der Politik! Muss man sich nicht bloss über Männer ärgern. Mancher geht nur rein in die Politik, um gross rauszukommen in den Medien. Politiker bloss Angestellte, die sich prompt aufspielen als Chefs. Wahlbeteiligung immer 100 Prozent. Nichtwähler wählen auch. Parteilichkeit macht dumm. 162

Alle im gleichen Boot! Trotzdem nicht egal, wer steuert. Populär immer der Politiker, der die Freiheit dadurch verteidigt, dass er Polizei und Justiz mehr Macht gibt. Die Opposition fordert, endlich zu handeln! Und stellt eigene Vorschläge in Aussicht. Politische Leithammel machen keine Fehler, dafür haben sie Sündenböcke. Man kann als Politiker viel für's Gemeinwohl tun und gleich bei sich selbst anfangen. Mancher hat das Talent, Politiker zu werden, nicht aber, es zu sein. Kollidieren die Interessen von Land und Partei, lässt man seiner Partei höflich den Vortritt. Man könnte ja gute Politik machen, müsste man nicht gute Parteipolitik machen. Am erfolgreichsten sind Politiker, die am leidenschaftlichsten fordern, was am meisten herbeigesehnt wird und am wenigsten machbar ist. Nur in der Demokratie kann ich den, der mich übers Ohr haut, selber wählen. 163

Wird Mensch Politiker, wird Mitmensch Wähler. In der Politik hat Erfolg, wer ausspricht, was alle denken, und sich dann den Teufel darum schert. Niemals dürfen Politiker an ihrer Politik Zweifel zulassen, was allein schon zweifeln lässt an ihrer Politik. 1000 Polit-Talks! Unvergessen der eine unglaubliche Satz: 'Da haben Sie vollkommen recht, ich muss mich korrigieren!' Stammtisch: Gipfelkonferenz von Politikern, die ihre Zeche immerhin selber zahlen. Sie schmeicheln den 'Menschen draussen im Lande' die aber merken die Absicht und sind verstimmt. Würden Eheleute an ihrer Ehe hängen wie Politiker an ihren Posten, wäre niemand geschieden. 'Schwesterparteien'? Der schönste Krach doch immer in der eigenen Familie. 164

Demokratische Linke, automatisch zertritten durch das, was sie programmatisch eint: Freiheit der Diskussion. Rechte gegen Linke, Linke auch gegen sich selbst. Schwarze sehen gern rot, Rote gern schwarz. Innen- und Rechtspolitik. Links mehr Herz - Rechts mehr Härte. Je christlicher desto darwinistischer. Aggressive Christen, tolerante Sozialisten öfter als umgekehrt. Gutmenschen nennt man Leute, deren Ideen einem nicht in den Kram passen. Ideologe - besonders verrufen beim Doktrinär. Extremist - nützlicher Idiot der Reaktion. Zwergparteien wie Heiratsschwindler: Absichten avisiern, abkassieren, abhauen. Alternative - öfter mal Alternaive. Jesus für Partei vereinnahmt den Mann, der aus allen Parteien immer schon ausgetreten ist. 165

Grundgesetz: auch nur gesetzter Grund. Wird der Staat feierlich, wird's feierlich. Staat, unverzichtbare Basis unseres gesellschaftlichens Seins? Genau, wie Müllabfuhr. Staat, der am wenigsten Staat macht, bester Staat. Heute braucht Politik ein moralisches Mäntelchen. Immerhin. Die Politik, aus der wir uns raushalten, brocken wir uns ein.

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POLITIKER UND BÜRGER

Leicht lässt sich schlechtmachen, was man nicht besser machen muss. Politik ist der Versuch, in einer unvollkommenen Gesellschaft mit unvollkommenen Menschen und Mitteln vollkommene Zustände zu schaffen. Gesetzgebungsverfahren. Stimmt Kabinett zu, Fraktion dagegen. Stimmt Fraktion zu, Opposition dagegen. Stimmt Opposition zu, Bundesrat dagegen. Stimmt Bundesrat zu, Karlsruhe dagegen. Stimmt Karlsruhe zu, Brüssel dagegen. Stimmt Brüssel zu, Volk dagegen. Alles besser als Hitler! In repräsentativer Demokratie, in der nicht das Volk selbst entscheidet, sondern Politprofis in seinem Auftrag, immerhin das menschenmögliche Optimum an Sachverstand. Der Staat hat das Problem, dass die Bürger von ihm erwarten, was sie früher erwarteten vom lieben Gott. 167

Alles hat drei Seiten. Man kann Politik betrachten von Regierungsbank oder Wahlkabine oder von Dazwischen wie hier. Politiker sind Leute, die es natürlich besser wissen als gute Politik zu sagen erlaubt. Stammtisch Gipfelkonferenz von Leuten, die Professionalität ersetzen durch Promille. Majorität Volk gewöhnlich auch nicht gottbegnadeter als Majestät Regierung. Doppelmoral der Politik oder Spiegel der objektiven Ambivalenz? Wahlversprechen gebrochen? Verlogene Politiker oder einfach nur veränderte Verhältnisse? Modernen Problemen gerecht werden, heisst, ihren 97 Aspekten gerecht werden; da hat man dann Probleme mit Bürgern, die nicht bis drei zählen. Wie die oben sich endlich einigen könnten, das weiss hier unten jeder besser als jeder andere. 168

Kein Mensch gegen Reformen, sie dürfen nur nichts kosten. Alles muss anders werden, nur darf sich nichts ändern! Geht es um Reformen am schmerzempfindlichsten Zahnärzte. Geht es nur mit Kompromiss, sieht der Wähler nur Beschiss. Einfache Steuern sind nicht gerecht, gerechte Steuern nicht einfach, also, wie hätten Sie's gern? Minister ist jemand, der verantwortlich gemacht wird auch dafür, womit er im Traum nicht rechnen kann. Demokratie ist die Staatsform, in der sich die Besserwissis wenigstens einigermassen in Schach halten. Oft kommt man zu ehrlicher Politik nur über unehrliche Politik. Den stürmischsten Applaus erhält, wer der schweigenden Mehrheit nach dem Mund redet. Die da oben nicht doofer, die da unten nicht gescheiter. 169

'Alles Verbrecher da oben!' Wenn alle Politiker Verbrecher sind, dann alle Nichtpolitiker Idioten. Die beste Politik ist leider oft die, für die man nicht wiedergewählt wird. Warum machen sie es nicht einfach so und so? Vielleicht geht es so und so ja einfach nicht. Nationale Politik in Globalisierung wie Biwakieren in Lawine. Auch in der Politik steckt der Teufel im Detail. Wer aber glaubt noch an den Teufel? Wir möchten den Diktatoren in den Arsch treten, Politiker müssen mit ihnen klarkommen und sie auf die Wange küssen. Häufig sollen Politiker längst Gesagtes endlich mal sagen, längst Begriffenes endlich mal begreifen, längst Geregeltes endlich mal regeln, und endlich in die Wege leiten, was man längst hat. Eine Regierung, die dem Volk blind folgt, würde es zugrunde richten. Demokratische Führung ist oft die Kunst, das Pferd glauben zu machen, es führe den Reiter. 170

Bürgerbeteiligung! Vorzugsweise durch Jammern. Sinken die Umfragewerte, fängt man die Wähler mit drei Ködern: Ausländer, Sicherheit, Patriotismus! Kostet nichts, klappt immer. Haft, Folter, Mord? Volksseele kocht und fordert besseren Tierschutz. 'Wieso reden Sie immer von Bundesrat? Lesen Sie keine Zeitung? Es heisst Bundestag!' Bringen bei Wahlen dieselben Leute Quote wie beim Fernsehen, dann haben wir eine Debilokratie. Plebiszitäre Demokratie? Promi for President! Wetten, dass? Was Wähler in Mikrofone sagen, weckt Mitleid sogar mit Politikern. Was die oben unsympathisch macht, dürften die Schwächen derjenigen sein, die sich in ihnen wiedererkennen. Für so viel Dummheit, wie Politikern unterstellt wird, verdienen sie Schmerzensgeld. 171

Kassandras wählt man nicht, Rattenfänger wählt man. Wähler verlangen gar nicht viel. Risikofreies Leben genügt. Man weiss ja nicht, wofür die Leute sind, auf jeden Fall sind sie dagegen. Auch der Populist wächst und gedeiht nur auf dem Mist der Population. Wieso sollen jetzt auch Kinder wählen? Tun sie doch sowieso. Würde man immer auf das Volk hören, dann hätten wir nicht mal Postleitzahlen, geschweige denn Finanzämter. Mancher beschimpft Politiker, weil er sich bei seiner Frau nicht traut. Der auf Politik projizierte private Zorn rechtfertigt eine Aggressionsabfuhrsteuer. Diese Politiker verdienen wir nicht! Und ob, deshalb haben wir sie ja. Wer alles erwartet von Vater Staat, ist ein politischer Kindskopf. Alle wollen die Demokratie, nicht alle den Preis dafür. 172

Man hat die Wahl. Man macht sich einen schönen Tag, oder man macht Politik. Die Vierzigstundenwoche haben Politiker am Mittwoch schon hinter sich. Politikerfrauen - bekanntlich Witwen, deren Mann noch nicht gestorben ist. Geht's ums Geld, werde ich Bankdirektor und nicht Bundeskanzler. Lösung politischer Probleme: von weitem Kinderspiel, aus der Nähe Quadratur des Kreises. Delegiertendemokratie tendiert zu Arroganz, Basisdemokratie tendiert zu Idiotie. Mancher Polit-Talk entlarvt mehr die Applaudierenden als die Diskutanten. Sagt man das Notwendige, wird man nicht gewählt; macht man es, wird man nicht wiedergewählt. Ruf nach Reformen: Wasch mir den Pelz und mach andere nass! Die Demokratie muss ein übermenschliches Korrektiv haben, oder sie funktionierte nicht. 173

'Parteienstreit'. Meist stinknormale demokratische Parteiendiskussion. Wird wenig diskutiert, beklagt man ein Demokratiedefizit, wird viel diskutiert, beklagt man den Hader der Parteien. Bewährte Spielregel: Ob Gerichtssaal oder Parlament: der Ankläger begründet die Todesstrafe, der Verteidiger den Freispruch, und das Problem wird klar. Nach Schlagabtausch zusammen beim Bier: parlamentarischer Professionalismus. Politisches Harmoniebedürfnis nirgendwo ausgeprägter als bei den Kindern der Grossdeutschen Volksgemeinschaft. Wer es unbedingt harmonisch haben will, kann ja die böse Welt verwandeln in einen Musikantenstadl. Schlechte Demokraten: weit weniger streitende Politiker, als harmoniesüchtige Bürger. Man könnte die Demokratie auch mal weniger bierernst sehen und mehr sportlich! 174

Kritik ohne Information, Kritik ohne Legitimation. Politikverdrossenheit immer am ausgesprägtesten, wo Informationslücken am grössten. Bürger nicht informiert, weil sie nicht informiert wurden oder weil sie sich nicht informiert haben? Uninformiert politisiert es sich doppelt ungeniert. Ist dir etwas unbegreiflich, kann es ja auch mal an dir liegen. Und überhaupt: Gelitten unter der Diktatur, geträumt vom Parteienstreit! Ceterum censeo: Lieber schlechteste Demokratie als beste Diktatur.

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KULTIVIERTE UND ZIVILISIERTE

Postmoderne. Das Alte geht nicht mehr und das Neue läuft noch nicht. 'Everything goes!' Anscheinend den Bach runter. Nie so viel Kultur wie heute: Spasskultur, Eventkultur, Bordellkultur! Nichts geht mehr auf den Geist als der Zeitgeist. Kein Ausländer muss unsere Kultur zerstören. Das besorgen wir schon selbst. Der Trend von heute ist genau so tyrannisch wie die Tradition von gestern. Trend - Fortschritt ins Labyrinth. Life-Style. Die unerträgliche Seichtigkeit des Seins. Stell dir vor, es ist angesagt, und keiner macht mit! 176

Westliche Werte. Tendenziell Börsenwerte. Antiquitätenboom. Das wertvolle Alte statt alter Werte. Rohr im Winde - Sprachrohr des Zeitgeistes. Nur Unkultivierte halten die eigene Kultur für die einzige. Wären die Leute auf der Party Bücher, man würde sie nicht lesen. Gebildete hielt man schon immer für Spinner. Neu ist, dass man es laut sagen darf und jede Menge Beifall erhält. Wer sich ins Gespräch bringt, kommt ins Gerede. Promi. Normalmensch mit höherem Bekanntheitsgrad. Elefant nicht interessanter als Mücke. Nur grösser. Jubel, Trubel, Heiterkeit! Von allen Glückskonzepten das beliebteste. Und hoffnungsloseste. Die Szene hält sich für das Drama. Highlife, öfter mal Lowlife. 177

Geniessen auf Teufel komm raus! Klappt immer. Immer mehr Leute tun gar nichts, das aber in grösster Eile. Wer sich am Angesagten orientiert, kann sich genausogut orientieren am Ungesagten. Lifestyle. Blödsinnige Arbeit, hirnrissige Freizeit. Was sich nicht rechnet, das zählt nicht, was zählt, rechnet sich nicht. Früher bedauerte man, jetzt ist es nicht anders im Computer. Was fasziniert, verdient deshalb nicht auch schon Beachtung. Egal, dass es immer mehr Staus gibt, Hauptsache, man hockt nicht zu Hause. Zeit totschlagen - Normalkriminalität. Je höher auf der Erfolgsleiter, desto hektischer die Kletterei. Früher glaubte man, Arbeit bewahre vor Dummheiten. Heute weiss man es. 178

Porno Tanz um das goldene Schwein. Subkultur beginnt, wo man nicht lacht, sondern wiehert. Mit dem Feigenblatt begann die Kultur. Jetzt haben wir es abgeschafft. Liften lassen - Charakterkopf planiert. Immer mehr Leute finden die Sonntage langweilig, immer mehr Sonntage finden die Leute langweilig. Noch nie so viel Interesse am Mitmenschen: noch nie so viel Katastrophentourismus. Devolution. Einst orientierten sich Ungebildete an Gebildeten, heute Gebildete an Ungebildeten. Alle wollen ins Guiness' Buch der Rekordblödheit. In der Herde kann man endlich tun und lassen, was andere wollen. Kultfiguren - Heilige für Heiden. Wer immer in ist Individualist ist er jedenfalls nicht. Das grösste Vergnügen? Spassgesellschaft ignorieren! 179

Herrschende Gedanken? Gedanken der Herrschenden, besonders der herrschenden Medien. Als die Leute länger arbeiteten, dachte man: keine Zeit für Bildung; seit die Leute weniger arbeiten, weiss man: keine Lust! Nichts gegen Computer, aber ich habe noch niemanden getroffen, der durch ihn weiser geworden wäre oder auch nur sympathischer. Hochleistungssportler. Jahre im Tretrad für Minuten auf Treppchen. Herzliches Beileid. Bitte, wo ist es noch einfach? Manchmal freut man sich auf ein Bier und kriegt bloss Champagner. Macht nichts, dass wir immer weniger Kinder haben, dafür werden sie immer dicker. Kein Problem damit, dass wir uns nicht mehr fortpflanzen, um so mehr Platz auf der Piste. Es geht aufwärts. Nie mehr Prostitution! Jetzt erotische Serviceleistung. 180

Werbung hiess mal Reklame. Klingt marktschreierisch und unseriös. Man war noch ehrlicher. Der Konsum-Mensch ist ein Kind, das sich im Spielwarenladen verirrt hat und das toll findet. Komm, gehen wir raus in die Natur! Okay, aber nicht ohne Walkman. Sie wissen nichts vom Burn-out-Syndrom der Prostituierten? Von den Arbeitsrechtsproblemen der Zuhälter? Von den Stressfaktoren der Freier? Erleben Sie unseren TV-Talk! Fussball verstehen? Sieh auf die Ränge, nicht auf den Rasen! Als man im Park noch Kinderlachen hörte, trat man auch nocht nicht so oft in Hundescheisse. Wo ist denn dein Lächeln geblieben? Heb ich mir auf für's Kundengespräch. Rockpartys haben den Vorteil, dass man garantiert nichts Dummes hört, weil man überhaupt nichts hört. 'Bücher soll ich lesen? Wann denn?' Sobald du aufhörst zu quasseln. 181

Kommerzradio. Bedürfnisanstalt für Sprecher mit chronischer Logorrhöe. Privat-TV-Devise: Wir produzieren Scheisse! Millionen Fliegen können nicht irren! Infotainment: Neues willkommen, aber bitte mit Sahne! Das Fernsehen lehrt, Leiden besser zu ertragen, die anderen zustossen. Je mehr Kanäle, desto mehr haben wir ihn voll. Schon okay, dass wir immer länger leben! Verlieren ja auch immer mehr Zeit am Fernseher. Man soll den Tag nicht vor dem Fernsehabend loben! Homo sapiens im TV-Test. Je niedriger das Programmniveau, desto höher die Einschaltquote. Kopf wie Chaos: Infomensch. Nachrichten! Und was bleibt haften? Der Versprecher. 182

Zote bringt Quote. Anspruchsvolles TV-Publikum erkennt man am Gähnen, weil es am längsten aufbleiben muss. Sage mir, was du glotzt, und ich sage dir, wer du bist. Geniesst den Anblick des Himmels! Noch fast ohne Werbung! Man könnte die Menschen lieben! Kennte man sie nicht vom Werbefernsehen. Die über das Fernsehen jammern, gleichen oft Kettenrauchern, die jammern über die Zigarettenindustrie. Wer Spielfilme mit Werbung erträgt, verdient sie nicht. Evolution - vom freien Menschen zum dressierten Affen der Werbestrategen. Wären wir, sagen wir mal, Christen, wäre der Werbezirkus pleite. Volksmusik: alles zugeklatscht, danke. Gesagt, was gesungen wir lachten uns tot. 183

Schlechte Meinung von der Presse! Aber von der Presse die Meinung. Journalismus. Krankhafte Neugier aus gesundem Misstrauen. Macht die Presse einen Skandal publik, ist es ein natürlich ein Presseskandal. Die Presse, wo sie darf, ist Analyse der Staatskunst, wo es sie gibt. Feuilleton: Modejournal der Kulturschickeria. Polemisiert wer gegen die Auklärung, der jahrzehntelang gegen ihre Kritiker polemisierte, dann polemisiert er gewiß im Feuilleton, dem Eldorado der Kulturchamäleons. Anspruch des Feuilletons: umgekehrt proportional zur Haltbarkeit. Parteipresse funktioniert wie ein Spiegel: alles seitenverkehrt. Journalisten sind Leute, die hinterher immer schon gewusst haben, worüber sie vorher eisern schwiegen. Auch Journalisten können schweigen! Zum Beispiel totschweigen. 184

Skandalpresse: Schaumschlägerei in der Kloake. Schicksalsschlag in den Nacken? Schlagzeile ins Gesicht! 20 Millionen Krawallzeitungsleser. Da sag mal einer, wir seien nicht gebildet! Es war schon immer etwas billiger, einen schlechten Geschmack zu haben. Es gibt Journalisten, die reden den Leuten nach dem Mundgeruch. Anbiederungsjournalismus. Niveau vermutlich immer noch höher als die Lesererwartung. Sich dummstellende Medien verdummen nicht, bestätigen vielmehr die Dummheit und verstärken sie. Degoutanter Boulevard? Im Zweifel die Goldgrube christlich-konservativer Verleger aus der Abendlandschickeria. Wir sind Papst? Dann waren wir auch Hitler. Nachteil des Euro: Groschenblatt obsolet. 185

Jetzt kommt der Urlaub jetzt wird's stressig. Im Urlaub kann man endlich auftanken und in die falsche Richtung weiterrasen. Touristenherde und als Leithammel der Animateur. Urlauber fühlen sich daheim, Einheimische fremd. Will es der Reiseleiter, besuchen wir sogar mal eine Kirche. Lieber Muselmann als Ballermann. Für Banausen ist der Turm von Pisa schief, für Kenner ist er übrigens auch schief. Was Touristen am meisten stört, sind die Touristen. Von der Weltreise zurück! Und was machen wir jetzt ??? Es gab eine Zeit, da wollte ich überall hin, jetzt geniesse ich alle Zeit der Welt hier. Jeder Erdenwinkel - dank Kriegen und Katastrophen sowieso vertraut. 186

Sprach-Evolution. Einst Mist, jetzt Scheisse. Merkwürdige Kultur, in der man über körperliche Liebe redet wie Zuhälter. Was sagst du zur Sprachverwahrlosung? Ich? Geil! Cool! Super! Wo alles super ist, ist nichts mehr richtig gut. Einen Sugar-free-morning-stardust light? Danke, Kännchen Kaffe genügt. Cool war's immer, es hiess nur nicht so. Was an Anglizismen stört, ist zunehmend die deutsche Sprache. Volk der Dichter und Denker! Damit brüsten sich am meisten, die am wenigsten dichten und denken. Wissen ohne Bildung, wie Küche ohne Koch. So viele Kochbücher! Man fragt sich, wann die Autoren essen. Alle sind für Bildung, Kapitalbildung besonders. 187

Warum sollen Eltern erziehen? Wir haben doch Lehrer! Auch Schüler haben Ideale, zum Beispiel angesagte Klamotten. Lehrer sein ist ein Kinderspiel: man braucht nur Polizisten gegen Schüler und Anwälte gegen Eltern. Kinder brauchen alle dasselbe, nur die Lehrpläne sind verschieden. Der Lehrer wüsste schon Was und Wie. Der Oberlehrer im Ministerium weiss es besser. Für das Leben lernen wir? Für die Wirtschaft lernen wir! Falls überhaupt. Ausgerechnet Politiker, denen keine einzige Reform gelingen will, verordnen eine Rechtschreibreform. Gegen das, wozu der Zeitgeist erzieht, kommt der genialste Erzieher nicht an. Gegen Werbung hilft nicht mal Vererbung. Burn-out-Syndrom immer öfter durch Eltern als durch Schüler. 188

Szenegurus. Blinde zeigen Lahmen den Weg. Der Selbstheilungswahn beruht von Gott her gesehen auf dem Baron-Münchhausen-Prinzip: man zieht sich aus dem Sumpf am eigenen Schopf. Das Blöde an der Spasskultur: je mehr man sich unterhalten lässt, desto mehr langweilt man sich. Eine Gesellschaft, die Milliarden hinblättert für Tranquilizer und Psychopharmaka, kann so gelungen nicht sein. Wer statt zu blinzeln, den Tatsachen voll ins Auge sieht, kann nur noch aus dem Fenster springen, verrückt werden oder beten. Das mediale Dauergrinsen maskiert auch mentale Ratlosigkeit und emotionale Leere. Zustimmung mundfaul, Kritik beredt, und schon das Miessmacher-Image. 'Warum immer so kritisch? Hab mal ein bisschen Humor!' Danke, schon vergangen. 189

Die ganze Zivilisationskritik lässt sich auf die Formel bringen: Formel 1. Können wir die Erde schon nicht zum Paradies machen, machen wir sie wenigstens zum Rummelplatz. Mens sana in corpore sano? In corpore sano mens insana! Den Schlaf haben wir, damit der da oben, der alles sieht, sich doch hin und wieder mal von uns erholen kann.

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KÜNSTLER UND BANAUSEN

Gott ist mit den Künstlern. Er ist selbst einer. Das Geheimnis in Kunst und Liebe: der metaphysische Mehrwert. Kunst kommt von Können und Müssen. Was das Genie Mitmenschen schuldet, schenkt es der Menschheit. Einsamkeit ist nicht der Preis der Kreativität, sondern ihr Lohn. Die Zumutungen der Kunst, sind nicht die Zumutungen des Künstlers, sondern die Zumutungen der Welt. Keine Schaffensfreude ohne Risikofreude. Für Komponisten das Armengrab, für Dirigenten die Ovationen. Kitsch malt Make-up. Kunst reisst Maske herunter. 191

Aktuellste Kunst: Kunst, Kunst vorzutäuschen. Ohne ein wenig Neurose weder Künstler noch Heilige noch Liebende. Auch schöne Kunst ist Protest. Protest gegen das Triviale und Banale. Auch in der Kunst finden die grössten Schweine die besten Trüffel. Weil: Respekt noch vor letztem Dreck! Das Genie produziert mit halber Kraft ganze Sachen, das Talent mit ganzer Kraft halbe. Wir sehen alles immer wieder, der Künstler sieht alles immer wieder zum ersten Mal. Für die meisten ist alles entweder-oder, für den Künstler ist alles sowohl-als-auch. Jeder Künstler ist Moralist. Und um so mehr, je weniger er moralisiert. Künstler herzensgut - Kunst herzlich schlecht. Wenn Kunst überhaupt etwas predigt, dann Mitgefühl. Künstler sind weder rechts noch links noch in der 'goldenen Mitte', sie sind bei sich. 192

Was Heilige für die Religion, sind Künstler für die Kultur. Kunst und Religion. Das letzte Authentische unter lauter Talmi. Kunst lehrt wahres Verständnis. Religion lehrt Verständnis für Wahrheit. Neue Kunst beginnt an der Schmerzgrenze. Kunst bildet nicht ab, sie macht sichtbar. Auch moderne Kunst würde man gern kritisieren, wäre nicht der Beifall des Stammtischs. Bei den Ersten in KZ und Gulag immer Künstler. Man weiss: sie akzeptieren kein X für ein U. Wären Schriftsteller ohnmächtige Schwätzer, würden sie nicht verhaftet und umgebracht. Der Künstler ist sein eigener Herr, aber der kann tyrannischer sein als der des Lohnsklaven. Kein Künstler ohne tragisches Lebensgefühl. Nicht zu verwechseln mit schlechter Laune. Kunst wie Kochkunst. Misslungene verdirbt den Geschmack, gelungene verfeinert ihn. 193

Kunst hasst Feierabend. Versprechen blaue Pferde Gewinn, dann setzen sogar Banausen auf Sieg. Kunst-Szene: ankommt, wer aneckt. Er kann nicht malen, das aber verdammt gut! Heisser Tip auf aktuellem Kunstmarkt. Kriegt einer es nicht hin, klebt man das Etikett 'genial banal' darauf, und schon ersterben wir vor Ehrfurcht. Besser ehrlich abstrakt als konkret gelogen. Kritik für die Kultur, was Abschmecken für's Kochen. Authentische Kunst weckt Schuldgefühle. Künstler selten Lebenskünstler. Wichtigeres zu tun. Auch Geistesblitze kommen aus dunklen Wolken. Pegasus - aus dem Haupt der Medusa, nicht des Gartenzwergs. Reproduktive - sich räkelnd auf dem bitteren Lorbeer der Kreativen. Banause schätzt, was gefällt; Künstler, was hält. 194

Der Künstler ist penibel das Gegenteil von pedantisch. Künstler. Nie Parteigenosse, immer Partisan. Müssten sie nicht fürchten, sich damit unsterblich zu blamieren, würden gewisse Leute die ganze Kunst verbieten. Der Künstler geht eigene Wege. Insoweit sollte jeder Künstler sein. Auch wenn der Künstler nur von sich redet, redet er von dir. Regungslos versunken in Lektüre: Hirnjogging, Herzmassage, Kreislaufstimulation! Bitte, nicht stören. Lektüre oft angenehmer als Zuhören: Text kompakter, rationaler, informativer, und man selbst bestimmt das Tempo. Manches, was wir begeistert anhörten, lässt uns beim Nachlesen den Kopf schütteln. Künstler fühlen sich mit Recht unverstanden. Daher ihre Ausdrucksmanie. Mensch am göttlichsten, wo er am schöpferischsten ist in Kunst und Coitus. 195

Lyrik: Sprache verschlüsselt statt verschlissen. Aphorismus - kurz und mündig. Aphorismus: Minimum an Text, Maximum an Inhalt. Satire: Humor an den Krücken der Intelligenz. Dichter geben Salz ins Brot, Satiriker Brot ins Salz. Pointenfeuerwerk: Knallerei ohne Folgen. Komödie kennt Tragik, Kabarett nur Schwächen. Komödie kennt beide Seiten, Kabarett nur eine. Im Kabarett lachen wir über die anderen, in der Komödie über uns selbst. Satiriker lachen über dich, Dichter über sich. Witz kitzelt, Humor streichelt. Witz produziert der Kopf, Humor schenkt das Herz. 'Schwere Musik' leicht für den, der sie liebt. 196

Sprachstil: Dressing des Wortsalats. Frischer Stil macht blassen Gedanken rote Backen. Je älter der Leser, desto langsamer die Lektüre. Er entdeckt immer mehr zwischen den Zeilen. Gute Literatur wird bei jedem Lesen besser. Abenteuer der Phantasie kosten nichts, langweilen nicht, hören nie auf. Beim Film redet man vom Autor zuletzt. Macht nichts, Gott geht es auch nicht besser. Die meisten Bücher verdanken wir der mangelnden Selbstkritik ihrer Autoren. Gute Schreiber verunsichern uns, sehr gute sich. Tagebuchschreiber - Dichter ohne Leser. Die ehrlichsten. Reden ist Silber, Schreiben ist Gold. Kein Buch ohne dankbaren Leser seinen Autor. Plötzlich Erfolg! Geschrieben unter Niveau. 197

Literatur kann jeder Dreck sein, Dichtung sind die Trüffel darin. Normalmensch sucht das Richtige, Künstler das Wahre. Auch Wörter sind Dinge, auch Sprechen ist Handeln. Nach Auschwitz kann man kein Gedicht mehr schreiben? Keins wie vor Auschwitz. Kunst immer allgemeingültig, nicht immer allgemeinverständlich. Der Kunst sind intelligente Fragen lieber als dumme Antworten. Das Wort ohne Geist ist leer, der Geist ohne Wort ist tot. Gescheiter Satz, der nichts ändert, gescheit trotzdem.

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BANALE UND BLASIERTE

Wir reden miteinander, sie kommunizieren. Wir sprechen es aus, sie verleihen ihm Ausdruck. Wir sagen es, sie würden gerngesagthabenwollen. Wir reden darüber, sie sprechen die Problematik an. Wir haben es geschrieben, bei ihnen stammt es aus ihrer Feder. Wir klären es, sie klären es ab. Bei uns kommt es von was, bei ihnen verdankt es sich ihm. Für uns liegt es an was, für sie ist es ihm geschuldet. Wir fragen, sie hinterfragen. 199

Wir können nicht, sie vermögen nicht. Wir sind am Arbeitsplatz, sie an der Stätte ihres Wirkens. Wir sind aufmerksam, sie sind es mit wachem Herzen. Wir sind verantwortlich, sie sind gerufen in die Verantwortung. Uns macht man herunter, sie werden herabgewürdigt. Wir sind zufrieden, sie erfüllt es mit tiefer Befriedigung. Wo es für uns hingehört, hat es für sie seinen Ort. Wir fangen damit an, sie unternehmen konkrete Schritte. Wir tun was, sie sind tätig. Wir wissen, was tun, sie wissen sich dazu verpflichtet. Wir stehen rum, sie verweilen. Wir sehen das Ganze, sie die ganze Bandbreite. 200

Wir erkennen an, sie zollen Anerkennung. Für uns ist es höchste Zeit, für sie ist es ein Gebot der Stunde. Wir machen unsere Arbeit, sie bekleiden ein Amt. Wir wurden verletzt, sie haben Verletzungen davongetragen. Wir werden beleidigt, sie werden verunglimpft. Wir bestreiten, sie stellen in Abrede. Wir sehen es vollständig, sie aber im vollen Umfange. Für uns ist es Politik, für sie steht es im politischen Raum. Uns interessiert es sehr, sie im höchsten Masse. Uns beunruhigt es, sie treibt es um. Wir erledigen es einfach, sie in Ausübung ihrer Pflicht. Wir machen es zusammen, sie im gemeinsamen Tun. 201

Unser Leben, ihr Dasein. Wir erleben es heute, sie in unseren Tagen. Uns macht es besorgt, ihnen gibt es Anlass zur Sorge. Wir sehen ihre Probleme, sie unsere Sorgen und Nöte. Wir sollen es machen, ihnen ist es aufgegeben. Wir sind noch nicht fertig, sie haben es noch nicht in trockenen Tüchern. Wir haben die richtigen Leute, sie sind personell gut aufgestellt. Wir müssen, sie sind in der Pflicht. Wir verstehen uns, sie sind geborgen im Anruf des Du. Nach unserer Meinung, nach ihrem Dafürhalten. Wir begreifen, worum es geht, sie erfassen die volle Tragweite. Bei uns üblich, bei ihnen gang und gäbe. 202

Wir haben reichlich, sie ein gerüttelt Mass. Wir trauern, sie leisten Trauerarbeit. Wir sind betroffen, sie sind zutiefst betroffen. Wir machen mit, sie bringen sich ein. Wir verantworten mit, sie sind eingebunden in die Verantwortung. Wir sind da, sie sind vor Ort. Wir sind vorbereitet, sie haben ihre Schularbeiten gemacht. Wir sind sensibel, sie haben ein waches Gespür. Wir wissen, sie wissen darum. Uns ist es klar, sie können es nachvollziehen. Wir haben sie bald restlos satt, Sie uns in Bälde zur Gänze. Sie finden uns wenig hilfreich, wir sie total bescheuert. 203

ICH UND ICH

Mein Tagebuch: meine Sprüche, mitsamt Widersprüchen. Im Subtext das Wann, Wo, Warum, das wirkliche Diarium. Keiner kritisiert mich so wie ich, und nur ich weiss die Gründe. Leichen im Keller? Lebendige! Was mir an mir gefällt, ist leider oft gerade das, was Leuten, die mir gefallen, überhaupt nicht gefällt. Die uns loben, lassen leider oft auch zweifeln an ihrem Verstand. Man muss ehrlich zu sich sein, darf sich also auch nicht schlechter machen als man ist. 204

Ich bin ein katholisch sozialisierter und neurotisierter, aber jesuanisch therapierter Möchtegern-Christ. Aufgewachsen im Schatten der Pfalzkapelle Karls des Grossen - Promotors des christlichen Abendlandes -, und folglich focussiert auf Europa, Politik, Kultur, Religion. Rheinländer wie Adenauer, Böll, Beethoven huldigen weder dem Herrn Erzbischof noch dem Prinzen Karneval. Napoleonische Besatzer verulkt: welsche Offiziere mit Prinzengarde, welsche Proklamationen mit Büttenreden, welsche Militärgerichte mit Elferräten da musste man sich nicht genieren für frenetisches Alaaf! Familie überall im Dreiländereck, in Deutschland, Holland und Belgien, und schon für Chauvinismus verdorben. "Isch liebe disch!" sagt man mit welschem Singsang in Aix la Chapelle, pardon, in Aachen kuriose Sprache, konkretes Europa! Heimatliebe wie Lieblingsspeise Widerstand zwecklos. 205

Zugegeben: uralter Mann. 1000jähriges Reich hinter mir. Westdeutsches Kellerkind. Drei Jahre lang Bombardements. Immer noch in den Knochen. Kindheit zwischen Toten und Trauernden. Psychologische Traumatherapie? Was ist denn das? Traumata. Synagoge abgefackelt, Sarah, Ben, Judith abgekarrt, Jugendkaplan Sevenich eingelocht, Geisteskranker Schulkamerad umgebracht, Bester Freund begraben unter Trümmerschutt, Vater mit Bombensplittern im Leib verröchelt, Onkel und Cousins an den Fronten gefallen, NS-Omnipräsenz, Staatspolizei, Spitzel, Heuchelei, Zweideutigkeit und Hass, Marschmusik, Siegheilgeschrei, ach, kämen doch endlich die Amerikaner! Flugblattregen im Bombenhagel: Denkt bei jeder Bombe dran: alles fing mit Hitler an! Yes, Sir! Trotz Bomben und Racheschwüren Feind schlussendlich begrüsst als Befreier. 206

70 Luftangriffe. Bomberpiloten verflucht. Flakgranate ins Cockpit gewünscht. Später aber nicht angeklagt. Wir wussten, warum. War ich ein Nazi? Irgendwer muss es doch gewesen sein! Aber - peinlich zu sagen - : ich auch nicht. Der 'Hitlerjunge' adrenalisiert, als 'wir' all diese Länder besiegten als wäre es eine Fussball-WM mit Schande zu vermelden. Wer Hitler vertraute, und sei es auch nur temporär und nur als Unterstufengymnasiast, der traut sich nie mehr über den Weg. Glückspilz. Alt genug, es bewusst zu erleben, zu jung, um schuldig zu sein. Fatale Folge einer Kriegsbiographie: was anderen auch passieren mag der innere Brummbär knurrt: Alles schon mitgemacht! Absurdes Fazit. Schwerstes bleibt Wichtigstes! Kern von Identität. 207

'Sprüche, Sprüche!' Wer so lange zugehört hat, darf auch mal trommeln. Irgendwann hat man genug gelesen und schreibt selbst. Guter Satz - bester Schatz. Reden verhallen. Zwischenrufe bleiben im Ohr. Rufen, rufen! Schon immer davon geträumt, ein paar Einfälle zu formulieren wie gemeisselt in Marmor. Alles wurde schon besser gesagt! Ja, aber nicht von mir. Nichts entspannender als kreative Hochspannung. Im Café die Robespierres, und in der Kneipe die Dantons. Musen? Kellnerinnen! Und meine Lieblingsmuse heisst natürlich Ira. Gesund leben! Täglich frischer Wortsalat aus Bibliothek. 208

Lieber privater Bücherwurm, als öffentliche Planierraupe. Bücherwand - schönste Tapete. Topfit. Heute wieder gejoggt durch die ganze Welt meiner Bücher. Konversation. Am besten mit Büchern. Pascal kommt nicht zum Kaffeeklatsch. Privat-Bibliothek. Gedränge wie im Hauptbahnhof. Lauter Genies, umgänglich, gesprächig, aufklärend, anregend, faszinierend. Das Wichtigste: Antwort darauf gefunden, warum letzte Antwort vorenthalten bleibt. Je älter man wird, desto weniger Bücher braucht man. Die aber um so mehr. Lasse mir meine Zeit nicht stehlen, von Leuten, die ihre totschlagen. Lieber Bibliothek als Videothek, lieber träumen als tratschen, lieber verzichten als vernaschen, lieber beten als treten. 209

Asynchrones Leben. Komme zu Rohbau oder Abriss. Wiedersehensschock an den Stätten der Jugend: Wie gut kommt man ohne uns aus! Was will der Alte hier? Das darf ich laut sagen. Kann volle Geschenkkörbe ignorieren, nicht aber leere Hüte. Die immer über Einbussen jammern, könnten herrlich und in Freuden leben, wären sie so anspruchslos wie ich. Meine Frau und ich, wir brauchen nix - und das haben wir. Unangenehmer als die Ungerechtigkeiten waren immer die Gerechtigkeiten, die mir zugestossen sind. Spätankommer. Beste Ankünfte - man erlebt bewusster. Manches so spät erlebt, dass ich noch enthusiastisch war, als andere sich längst langweilten. Das absolute Hörerlebnis die spirituell aufgeladene Stille im Haus der Beter. 210

Geständnis. Verhältnis mit verheirateter Frau! Seit fünfundvierzig Jahren! (Danke für Blumen.) Mit Helena im Vorjahr wieder 300 Kilometer Natur durchstreift: Theologie mit den Sinnen! Wieder gemeinsam über Land gelaufen. Grundbesitzer: God himself. Marching ovations! Wandern in Deutschland. Bonsai-Tourismus, alles da, wunderbar! Gern unter Menschen. Und dann auch wieder gern allein. Besonders mit Dir. Viel mit Napoleon gemeinsam! So Leidenschaft für Bratkartoffel mit gerösteten Zwiebeln. Bei aller Eitelkeit halte mich nicht für so bedeutend, wie irgendjemanden, der, egal was, tatkräftig für andere tut. Selbstsicherheit verdient, wer sich für verdienstvoll hält, was aber bei dem, der so denkt, selten vorkommt. 211

Die sich nie aufregen, regen mich auf. Lieber produktiv aufgeregt, als steril gelassen. Lieber unabhängige Langeweile als abhängige Kurzweil. Studieren oder Amüsieren? Eins im anderen. In Hauptsachen variabel. In Nebensachen konstant. Immer dem guten Alten treu, immer für das gute Neue offen. Konservativ oder progressiv? Weder noch, sondern beides. Kommt einer mir süss, bin ich schon sauer. Von ganz oben her gesehen, natürlich aufgeblasener Frosch. Wenigstens meine Frau findet mich ganz passabel. Das gibt Auftrieb! Wo bleibt das Positive? Auf der Hut. 212

Was Kinder uns bedeuten da endlich versagt jedes Wort. Oft geglaubt, etwas zu versäumen. Wüsste heute nicht was. Hätte ich humorvollen Beistand nötig, ich würde garantiert den meiden, der ich selber bin. Je älter man wird, desto dankbarer erinnert man sich. Special thanks for the loss of innocence! Besser Handeln als Reden. Aber immer noch besser gut geredet als schlecht gehandelt. Ist Kritik, obwohl begründet, arrogant, bin ich mit Kusshand arrogant. Ist Grübeln über Gott und die Welt eine typische Alterserscheinug, dann bin ich gern steinalt. Ist es unreif, noch engagiert zu sein, kann ich gar nicht unreif genug sein. Sind religiöse Überzeugungen naiv, dann bin ich nichts lieber als naiv. Nichts bringt mich mehr in Hitze, als Leute, die alles kalt lässt. 213

Geniestreich! Zwei Frauen zugleich geheiratet! Die erste und die letzte! Ich bewerte fast alles gemäss früherer Sozialisation, so wie ich noch Euro-Beträge zurückrechne in Mark. Die Macht der kleinen Geste. OP-Schwester drückt Kinderhand. Glücksgefühl noch heute. Je mehr mir klar wird, wie hilflos die Menschen im Grunde sind, desto sympathischer werden sie mir. Vom Atelierfenster sehe ich Sonnenaufgänge, die noch schöner sind als Untergänge! Und das sagt mir was. Ins Kloster? Wäre ich allein - sofort! Falls jederzeit Zugang zu Garten, Kapelle und Bibliothek. Aus Agnostizismus ausgetreten! Meine beste Konversion. Früher vermutete ich, Religion sei das Wichtigste, jetzt weiss ich es. 214

Salut meinen Eltern, die mich zu leben lehrten in mehr als drei Dimensionen! Von allen Männern hat mir immer am besten gefallen, dieser melancholisch-zuversichtliche Jesus. Schlüsselsatz. 'Er kam in sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf.' Darin liegt alles. Wohin man auch geht - man geht nach Hause. Gott bewahre mich vor Wasser, wenn ich mal nicht mehr trinken will, vor Magensonde, wenn ich nicht mehr essen will, vor Maschine, wenn ich nicht mehr atmen will. Gott, bewahre mich! Amen. Ich fürchte nicht den Tod, wohl aber medizinische Prinzipienreiter, die mich nicht loslassen wollen und zum Leben foltern. Ich fürchte nicht den mit der Sense, wohl aber selbsternannte Götter in Weiss, die finale Schmerzmittel verweigern. Das Alter ist die Jugend der Ewigkeit. Klingt blöd, glaub's trotzdem. 215

Autor tot, Text lebendig wetten, dass? Lebe schon lange länger als meine Eltern leben durften. Und ihnen immer näher. Letzter Wunsch. Mit Haltung abgehen und durchgehaltenem Gottvertrauen. Wer alles vor sich hat, sogar das Grosse Wiedersehen, was lässt der hinter sich? Herausgefunden aus dem Labyrinth! Mit meiner kleinen Hand in Seiner grossen. Summa summarum: Obwohl wenig gegeben, viel bekommen. Danke!

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